Innenminister Friedrich hält nichts von einer kritischen und unabhängigen Überprüfung der „Sicherheitgesetze“, die seit dem 11. September 2001 eingeführt wurden. Friedrich forderte stattdessen die Ausweitung von Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und eine Verschärfung der Ausweisungsgesetze.
Seit den New Yorker Anschlägen hat eine Vielzahl von Sicherheits- und Überwachungsgesetzen die Verfassung ausgehöhlt – eine kleine und unvollständige Chronik:
2001: Sicherheitspaket I (Schily / Rot-Grün)
- Strafbarkeit der Mitgliedschaft und Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung (129b)
Streichung des Religionsprivileg von Vereinen
2002: Sicherheitspaket II (Schily / Rot-Grün)
Das „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ – inoffiziell „Otto-Katalog“ genannt.
- Sicherheitsüberprüfung von Menschen die in einer sicherheitsempfindlichen Infrastruktur (Wasserwerk u.a.) arbeiten.
- Der Inlandsgeheimdienst („Verfassungsschutz“) darf Informationen bei Banken, Fluglinien und Telekommunikationsunternehmen einholen.
- Das Bundeskriminalamt (BKA) darf im Vorfeld der Strafverfolgung Auskünfte einholen.
- Ausländer- und Asylbehörden werden verpflichtet, Informationen über gefährliche Ausländer von sich aus an den Verfassungsschutz weitergeben.
- Ausländer im Terror-Umfeld können ausgewiesen werden, der Rechtschutz dagegen wird stark eingeschränkt.
2002: Einführung der Rasterfahndung in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen
BKA und Polizeien erfassten auf der Suche nach „Schläfern“ 8,3 Millionen Menschen in der Rasterfahndung – und fanden niemanden. Das Verfassungsgericht beanstandete im Jahr 2006 diese Aktion.
2003 Kontodaten-Abruf (Rot-Grün)
Das „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“ erlaubt Sozialbehörden, Zoll, Polizei und Finanzämtern die Abfrage von Kontenstammdaten von Bankkunden. Nach einigen Novellen dürfen im Jahr 2011 auch das Bundesamt für Justiz und die Arbeitsagenturen ohne Anhaltspunkte auf gesetzwidriges Verhalten die Bürger nach ihren Konten durchleuchten. Viele Anfragen richten sich gegen Empfänger von Transferleistungen.
2004 Terrorismusabwehrzentrum (Schily / Rot-Grün)
Mehr als 200 Beamte aus über 40 Behörden tauschen Daten aus. Das „Gemeinsame Terrorabwehrzentrum“ höhlt die Trennung von Polizei und Geheimdiensten aus.
2005 Luftsicherheitsgesetz (Schily / Rot-Grün)
Der „Finale Rettungsabschuss“ von Flugzeugen, die entführt werden. Das Gesetz wird später vom Bundesverfassungsgericht kassiert.
2005 Biometrischer Reisepass (Schily / Rot-Grün)
Die EU hatte im Jagr 2004 auf Betreiben von Schily eine solche Vorgabe beschlossen und 2005 umgesetzt. Nach üblicher Salamitaktik kommt 2007 auch noch ein Fingerabdruck hinzu. Später wird Schily – ganz zufällig – im Aufsichtsrat einer Biometriefirma sitzen.
2006 Anti-Terror-Datei (Schäuble / Schwarz-Rot)
Geheimdienste und Polizei arbeiten von nun an mit einer gemeinsamen Anti-Terror-Datei, die den Zugangsbefugten anzeigt, wo eine Information gespeichert ist. Die Datei ist eine weitere Verletzung des Trennungsgebotes von Geheimdiensten und Polizei.
2006 Terrorismusbekämpfungs-Ergänzungsgesetz (Schäuble / Schwarz-Rot)
Die große Koalition entfristet, die auf fünf Jahre befristeten Gesetze der Rot-Grünen Regierung. Die Befürchtung von Bürgerrechtlern („Was einmal eingeführt ist, wird man nicht mehr los“) bewahrheitet sich. Oben drauf werden Befugnisse, die für „Terroristen“ galten, jetzt auf gewaltbereite „Extremisten“ ausgeweitet. Außerdem bekommen auch Bundesnachrichtendienst und Militärischer Abschirmdienst weitere Befugnisse zugeschlagen.
2007 Zentrale Steuernummer (Schwarz-Rot)
Die Große Koalition führt eine zentrale Steuernummer ein. Diese Nummer lässt sich prima nutzen, um andere Daten an ihr aufzuhängen und damit Überwachung und Datensammlung zu erleichtern.
2008 Vorratsdatenspeicherung (Zypries / Schwarz-Rot)
Einführung der Vorratsdatenspeicherung (VDS), die sechs Monate alle Verbindungsdaten der Kommunikation präventiv und anlasslos speichert. Später und nach massiven Protesten („Freiheit statt Angst“ wird das Bundesverfassungsgericht die VDS für teilweise verfassungswidrig einstufen.
2008 BKA-Novelle (Schäuble / Schwarz-Rot)
Die Befugnisse des BKA werden ausgeweitet, so erhält das BKA beispielsweise Befugnisse zur Gefahrenabwehr. Das Gesetz beinhaltet auch den Staatstrojaner, den man euphemistisch Quellen-TKÜ nennt.
2009 Strafbarkeit von Terrorcamp-Besuchen (Zypries / Schwarz-Rot)
Da sich nach Meinung der Großen Koalition viele Terroristen nicht unter 129a verfolgen lassen, werden auch Einzelpersonen ins Visier genommen. Bis zu 10 Jahre Haft gibt es für den Besuch terroristischer Ausbildungslager oder die Sammlung von Geld zur Finanzierung von Anschlägen. Es drohen bis zu zehn Jahre Haft.
2011 Visa-Warndatei (Schwarz-Gelb)
In einem Kuhhandel gegen die Abschaffung der Netzsperren führt die Regierung eine VISA-Warndatei ein. Die Visa-Warndatei will im ersten Schritt präventiv jetzt alle Einlader speichern, die im Bezug mit visa-relevanten Straftaten aufgefallen sind. Im zweiten Schritt wird generell jeder gespeichert, der “in einen Visaantrag involviert ist”.
2011 Verlängerung der „Anti-Terror-Gesetze“ (Schwarz-Gelb)
Die Bundesregierung verlängert die Anti-Terror-Gesetze und nimmt praktisch keine Regelung zurück
2012 Bundeswehr im Inland (Bundesverfassungsgericht)
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Einsatz der Bundeswehr im Innern erlaubt, dass die Streikräfte in “Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes” militärisch, das heißt bewaffnet, auch im Inland eingreifen können. CDU-Politiker fordern direkt nach der Entscheidung ein Gesetz zum Einsatz der Bundeswehr im Innern.
2012 Einführung der Nazi-Verbunddatei (Friedrich / Schwarz-Gelb)
Innenminister Friedrich nutzt die NSU-Affäre zum Ausbau der Überwachungsinfrastruktur, er führt die Nazi-Verbunddatei ein. Polizeibehörden, Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern und auch der militärische Abschirmdienst sollen diese Datei füttern mit “gewalttätigen” und “gewaltbezogenen” Personen. Gleichzeitig haben diese Stellen auch Zugriff auf die neue Datei. Eine weitere Aufhebung des Trennungsgebotes zwischen Geheimdiensten und Polizei.
Weitere Versuche/Gesetze/Maßnahmen, das Grundgesetz auszuhöhlen:
- 2012 Bremen will Spuckschutzhauben einführen
- 2012 Verkehrsminister Ramsauer ändert das Flugverkehrsgesetz: der zivile Einsatz von Drohnen wird erlaubt
- 2012 In Sachsen-Anhalt soll ein neues Polizeigesetz eingeführt werden, das unter anderem die Abschaltung von Mobilfunknetzen erlaubt
- 2012 Netzpolitik.org deckt die Berliner Funkzellenabfrage (FZA) auf. Bei diesem Rasterfahndungsverfahren werden hunderttausendfach Handydaten durchgescannt. Die FZA entwickelt sich immer mehr zum normalen Strafverfolgungsinstrument – auch für kleinere Straftaten.
- 2013 Schwarz-Gelb will die Überwachung von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz ausdehnen
- 2013 In der EU gibt es Bestrebungen, die Ausweitung der Erfassung von Reisedaten voranzutreiben. Künftig sollen nicht nur Flugdaten gespeichert (und mit den USA ausgetauscht) werden, sondern auch andere Verkehrsmittel wie Bahn. Die Bundesregierung stellt sich nicht kritisch gegen diese Absicht.
Vermutlich sind die hier aufgeführten noch lange nicht alle Gesetze und Maßnahmen, die massiv in Grundrechte eingreifen und eine Bedrohung für das Grundgesetz darstellen. Die Liste ist lang und es ist an der Zeit, den Sicherheitswahn zu stoppen und Gesetze abzubauen. Das ist jedoch kaum in Sicht, wie die Aussagen des Innenministers deutlich machen.
Dem Gremium zur Überprüfung der Sicherheitsgesetze gehören übrigens neben Friedrich und Leutheusser-Schnarrenberger die frühere Generalbundesanwältin Monika Harms, der Ex-Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch sowie die beiden Staatsrechtler Matthias Bäcker und Heinrich Amadeus Wolff aus Mannheim beziehungsweise Frankfurt/Oder an. Nicht alle der hier gelisteten Gesetze gehören in den Untersuchungsbereich des Gremiums.
2013 Zentrales Einwohnermelderegister: „Ab dem 1. März 2013 soll es einen einmaligen Abgleich der Teilnehmerdaten des Beitragsservice mit den bei den Einwohnermeldebehörden gespeicherten relevanten Daten von rund 70 Millionen volljährigen Bewohnern Deutschlands (Name, Geburtsdatum, aktuelle und vorherige Anschrift) geben, um bisher nicht vom Beitragsservice erfasste Personen ermitteln zu können, die ihrer Meldepflicht bei der GEZ oder dem Beitragsservice bisher nicht nachgekommen sind.“ (aus der Wikipedia, Artikel „ARD-ZDF-Deutschlandradio-Beitragsservice“)
Danke für die Fleißarbeit.
Herzlichen Glückwunsch zur doppelten Arbeit: http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Chronik_des_%C3%9Cberwachungsstaates :)
Ein Blogbeitrag ist halt kein Wikieintrag. Und man kann dieses Thema ja nicht oft genug betonen.
Nicht zu vergessen das ‚erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz‘, welches z.B. u.a. den §100 Satz 3 StPO deutlich veränderte. Nun darf auch die Polizei private Breife lesen (kurzer Anruf bei der StA reicht). Von versiegeln und nur im Beisein des Betroffenen durch die StA öffnen ist da nun keine Rede mehr. Da kann nun praktisch jeder Dorfscheriff sämtliche Briefe, EMails etc. beschlagnahmen/durchlesen. Von den Polizeigesetzen und deren Gummiparagrafen mal ganz abgesehen. StaSi war Kindergarten. Wer wählt eigentlich die Leute (Grüne, SPD, …), die solche Gesetze verabschieden?
• März 2008: Automatisierte Kennzeichenerfassung in Hessen und Schleswig Holstein verfassungswidrig (http://de.wikinews.org/wiki/Bundesverfassungsgericht:_Automatisierte_Kfz-Kennzeichenerfassung_in_Hessen_und_Schleswig-Holstein_verfassungswidrig )
• BVerfG, 1 BvR 2074/05 (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20080311_1bvr207405.html )
• Januar 2012: Telekommunikationsgesetz zur Herausgabe von IP-Adressen und Passwörtern verfassungswidrig (http://computer.t-online.de/bundesverfassungsgericht-beschraenkt-daten-herausgabe-von-ip-adressen-passwoertern-und-pins/id_54261322/index )
• BVerfG, 1 BvR 1299/05 (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20120124_1bvr129905.html )