Es ist Winter 2012. Kurz vor den großen Protesten gegen das Copyright-Abkommen ACTA, bei denen etwa 100.000 Menschen auf die Straße gehen werden. In einem Etherpad, einer Art Echtzeit-Word-Dokument im Netz, versuchen sich Aktivistinnen und Aktivisten für ein Berliner Demobündnis zu verabreden. Es wird wild debattiert über mögliche Aufruftexte, Routen, Transparente, Plakate, Parolen. Mit Enthusiasmus entsteht wie von Geisterhand die Planung für eine Großdemonstration. Und das gemeinsam von Leuten, die sich nicht einmal untereinander kennen.
Später schreibt irgendwer eine Liste von Initiativen, Gruppen und Organisationen dazu, die das Bündnis unterstützen werden. Neben der Digitalen Gesellschaft, dem Chaos Computer Club, den Piraten, der Linkspartei und den Grünen ist auch die Hedonistische Internationale auf dieser Liste und bietet an, dass sie einen Demowagen stellen könnte.
Nur ein paar Stunden später steht in besagtem Etherpad die Forderung, dass Extremisten von Rechts und Links nichts auf der Demo verloren hätten. Der Autor dieser Forderung begründet dies damit, dass er bei Wikipedia gelesen habe, dass die Hedonistische Internationale eine „Anarchistische Organisation“ sei. Das schade dem Anliegen der Anti-ACTA-Demonstration, denn Linksextremisten wollten doch immer nur für ihre Ideologie demonstrieren und würden noch jede Demo für ihre Ziele missbrauchen.
Diese Episode aus dem Online-Tool steht stellvertretend für Annäherungsschwierigkeiten zwischen Aktivisten der Netzbewegung und dem linken Milieu. Auch nach mehreren Jahren Netzbewegung gibt es nur wenige zarte Pflänzchen der Zusammenarbeit. In ein paar Server-Projekten, Gruppen, Bündnissen und bei einigen Veranstaltungen und Konferenzen gibt es personelle und inhaltliche Überscheidungen, ansonsten sind sich Netzaktivisten und außerparlamentarische Linke erstaunlich fremd geblieben.
Erstaunlich fremd
Eigentlich könnte doch alles so einfach sein: Sowohl Netzbewegung wie auch die undogmatische Linke setzen sich für den Erhalt oder den Ausbau von Grund- und Freiheitsrechten ein. Beide eint die Ablehnung staatlicher Überwachung aller Art – von der Steueridentifikationsnummer bis zur Vorratsdatenspeicherung. Beide Seiten haben ein Weltbild, das die Selbstbestimmung und die Freiheit des Individuums in den Vordergrund stellt. Beide Seiten bekämpfen seit Jahren auf ihre Weise vehement den Überwachungsstaat.
Warum tun sich, mal von einigen Initiativen und Projekten abgesehen, beide Seiten so schwer miteinander?
Für eingefleischte Linke kommen große Teile der Netzbewegung wie ein Haufen unbeirrbarer Verfassungspatrioten daher. Und in der Tat gibt es insbesondere bei vielen Piraten, aber auch bei anderen Akteuren der Netzbewegung eine ungebrochene Staatsgläubigkeit, die sich nicht nur in dem Satz „Das Bundesverfassungsgericht in Karlruhe wird es schon richten“ widerspiegelt. Der Staat ist etwas Gutes. Man muss ihn nur ein bisschen kontrollieren. Ein Reförmchen hier, digitale Bürgerrechte da – und schwupps sind die Probleme dieser Welt gelöst. Diese bundesrepublikanische Staatsgläubigkeit zeigt sich auch in der unverantwortlichen Gleichsetzung von Rechts- und Linksradikalismus. Beide politischen Richtungen werden von vielen Netzaktivisten gleichermaßen als Bedrohung für Demokratie, Grundgesetz und den Staat wahrgenommen.
Unbeirrbare Verfassungspatrioten und gefährliche Linksextremisten
Hinzu kommt die Unfähigkeit der sehr heterogenen Netzbewegung, ihre Forderungen mit der Kritik am Kapitalismus zu verbinden. Sie versucht, und das ist klassisch liberal, die autoritären Tendenzen des Staates losgelöst vom Wirtschaftssystem zu deuten. Sie sieht nicht, dass systematische Überwachung der Wahrung von Herrschafts- und Vermögensverhältnissen dient. Sie sieht nicht den Datenstriptease als Problem, den Transferleistungsempfänger über sich ergehen lassen müssen. Nicht die zigfach dichtere Ausforschung von Ausländern sind ihr Thema, nicht die Visa-Warndatei und nicht das rigide Grenz- und Überwachungsregime an den Außengrenzen Europas. Dass Netzneutralität immer noch nicht gesetzlich festgeschrieben ist, führt in der Netzbewegung nicht zum logischen Schluss, dass dies den Profitinteressen von Konzernen geschuldet ist. Stattdessen machen sich Netzaktivisten dann kapitalismus-affirmativ für bessere Verbraucherrechte stark.
Große Teile des linken Spektrums hingegen machen den Fehler, den Netzbewegten diese Punkte immer wieder vorzuwerfen. Im linken Gestus verhaftet, will niemand mit denjenigen protestieren, die eine transparente Polizei eigentlich für eine gute Sache halten. Da geht man lieber den eigenen Weg mit den immer selben Anti-Repressionsparolen aus den 90er Jahren, und merkt nicht, dass dieses selbstreferenzielle Szeneverhalten Aktivist/innen aus der Netzbewegung wiederum befremdet. Anstatt eigene linke Repressionserfahrungen den „digitalen Bürgerrechtlern“ zu schildern – und damit ihr „Urvertrauen“ in den Staat zu erschüttern – macht man sich lustig, dass diese ja keine Repression erfahren hätten. Hinzu kommt, dass Teile der außerparlamentarischen Linken in Sachen digitaler Kommunikations- und Kulturtechniken immer noch Jahre hinterherhinken.
Heterogenität schafft Anknüpfungspunkte
Sowohl Netzbewegung wie auch Linke erkennen nicht ihr Gegenüber als heterogenen politischen Player und verpassen damit zahlreiche Anknüpfungspunkte für gemeinsame politische Arbeit. Diese politische Arbeit ist bitter nötig, da die Anzahl der Menschen, die in diesem Land für Grund- und Freiheitsrechte einstehen, erschreckend gering ist, wie das allgemeine Schulterzucken auf die Snowden-Enthüllungen gezeigt hat.
Mit der Netzbewegung hätte die außerparlamentarische Linke einen potenziellen Verbündeten, mit dem sie die Ausgangssituation, auf der politische und soziale Kämpfe ausgetragen werden, verbessern kann. Eine linksliberale Kraft, der unwohl ist angesichts ausufernder Geheimdienstbefugnisse und der Realität des Überwachungsstaats. Ein Bündnispartner, mit dem sie zusammen vielleicht keine Maximalforderungen stellen, aber immerhin die autoritäre Entwicklung des Kapitalismus reformistisch abbremsen oder gar umkehren kann. Die radikale Linke muss wohl oder übel einsehen, dass der Kampf für Grund- und Freiheitsrechte auch in Zukunft beinhalten wird, dass man mit Befürwortern des Staates, der Bundesrepublik und des kapitalistischen Systems zusammenarbeiten muss.
Wenn die Linke mit der Netzbewegung schon nicht den Kapitalismus abschaffen kann, so kann sie doch die Gesellschaft mit ihr zusammen wieder freier machen. Das ist nicht unerheblich, sondern dringend notwendig in Zeiten der umfassendsten anlasslosen Überwachung in der Menschheitsgeschichte und dem Schwinden demokratischer Spielräume. Es wird also Zeit, aufeinander zuzugehen.
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Dieser Artikel erschien zuerst in Analyse & Kritik und wurde dann von Carta gecrosspostet.
Herzlichen Dank für die treffende Analyse. Es gibt sicherlich noch ein paar mehr Probleme in der Zusammenarbeit zwischen den sehr verschiedenen Bewegungen zu nennen, z.B. die zwangsläufige Fixiertheit der Netzbewegung auf „das Netz“, jedoch kann ich das Fazit deines Beitrags nur gnadenlos und tatkräftig unterstützen.
„Linke setzen sich für den Erhalt oder den Ausbau von Grund- und Freiheitsrechten ein“
Echt? Wo?