Loveparade-Unglück: Alle sind jetzt Ermittler


Die Loveparade-Katastrophe und der Umgang damit im Netz zeigt gerade sehr deutlich den schon seit einigen Jahren verlaufenden Wandel der Öffentlichkeiten an.

Dank Internet, Youtube und Handy-Videokameras haben wir aber seit einiger Zeit erstmals die Situation, dass in großer Masse zeitgeschichtliche Dokumentationen von großen Veranstaltungen zur Verfügung stehen und demokratisiert werden.

Schreibt Alvar Freude in seinem Blog. Das heißt konkret: Es geistern tausende von Videos, Fotos und Zeugenaussagen im Netz herum. Und zehntausende von Menschen beteiligen sich in Foren, Blogs und den Kommentaren der Mainstream-Medien nicht nur an wilden Spekulationen, sondern rekonstruieren selbst mit ihrem gesunden Menschenverstand und Crowdsourcing den Ablauf der Tragödie von Duisburg.

Das ersetzt sicherlich nicht die Ermittlungsarbeit der Polizei und deren Fachpersonal für Großveranstaltungen. Aber es treibt diese Arbeit voran, schließt manche Interpretationen aus, führt Informationen zusammen, die die Polizei eventuell nie so recherchieren hätte können. Die vieltausenden Kommissare am Monitor sind in jedem Fall etwas Neues – und ich bin mir nicht sicher, ob sich die klassische Ermittlungsarbeit mit diesen neuen Effekten schon auseinandergesetzt hat.

Damit meine ich nicht die Nutzung von Youtube-Videos als Beweismittel, denn die scheint sich ja schon durchgesetzt zu haben. Vielmehr geht es darum, ob sich die Polizei die vielbesungene Schwarmintelligenz zu nutze machen kann, die die zahlreichen Einzelstücke von „Augenzeuge Internet“ zusammensetzt und interpretiert.

Manche Leute starten E-Mail-Aktionen zur Aufklärung, was in der Unterführung passierte. Wieder andere spekulieren in Foren, suchen nach Formeln wie viele Menschen auf einen Quadratmeter passen oder sammeln einfach Augenzeugenberichte, schreiben Gedächtnisprotokolle oder interpretieren das Protokoll des Veranstaltergesprächs (hier als PDF bei derwesten.de).

Die Bürgerinnen und Bürger als Ermittler, die ihre selbst gemachten und öffentlich zugänglichen Dokumentationen analysieren. Bei der Polizei machte man gestern noch keine Anstalten diese Infos mittels einer Sammelstelle nutzen zu wollen:

„Ob es dazu Pläne gibt, entzieht sich meiner Kenntnis. Wir hoffen jedenfalls, dass die Daten noch eine Weile im Netz abgreifbar sein werden“

Vielleicht noch etwas kleines am Rande:
2001 stand auf einmal die Idee im Raum, dass die Loveparade auf die Berliner Karl-Marx-Allee umziehen könne. Die ist doppelt so breit wie die Strecke im Tiergarten, alle 100 Meter gibt es einen Durchgang in den Häusern und jede Menge große Straßen, die von der Paradestrecke wegführen. Damals lehnte die Berliner Bauverwaltung die alternative Route ab mit den Worten:

„Bei einer Massenpanik werden die Besucher gegen Hauswände gedrückt. Die Hausdurchgänge sind zu schmal.“

Wer sich die beiden Karten mal anschaut sieht, wieviel großzügiger die Abflussmöglichkeiten auf der Karl-Marx-Allee im Vergleich zu diesem von Autobahn und Gleisen umgebenen Güterbahnhof von Duisburg sind. Das beweist alles natürlich gar nichts, es trägt auch nicht wirklich zur Aufklärung der Geschehnisse in NRW bei – es zeigt aber, dass den Verantwortlichen in Duisburg ein sicherer Platz für die Menschenmassen am Arsch vorbei ging.


Karten: CC-BY-SA Open Street Map

Screenshot: Youtube-Video

5 Kommentare

  1. nike says:

    Der eigentliche Skandal ist doch, dass Herr und Frau Sauerland ihren Sohn Adolf nannten, obwohl der Führer schon seit zehn Jahren tot war!

  2. John F. Nebel says:

    Das mag sein, ist aber eine ganz andere Geschichte.

  3. madrileño says:

    Nicht uninteressante Überlegungen. Allerdings, die Sache mit der „Schwarmintelligenz“ mag für Thriller eine ganz passable Idee sein, ansonsten taugt sie wohl nur für nicht beweisbare Theorien irgendwelcher ehrgeiziger Wissenschaftler und klingt zudem, wie so häufig, einfach armselig biologistisch. Ich würde dagegen halten, dass die Anzahl der Menschen sich wohl eher proportional zum Anstieg von Dummheit und Irrationalität verhält.

    Anders betrachtet kann natürlich das Internet mit seinen vielen Teilnehmerinnen als Ideenpool verstanden werden. So könnte es vielleicht auch für die Polizei manchmal hilfreich sein. Aber die klassischen Ermittlungen können dadurch sicher bestenfalls ergänzt werden.

    Allerdings sind sich wohl die meisten auch ohne Polizeiarbeit einig, dass das Veranstaltungskonzept an sich schon kriminell war. Es ist eine Tragödie.

  4. madrileño says:

    Dieser Satz „Zur Rekonstruktion der Ereignisse greifen die Ermittler auch auf Beiträge im Internet zurück“ findet sich hier:

    http://www.wdr.de/themen/panorama/loveparade_2010/aktuell/100730a.jhtml;jsessionid=TROUISV2JWMXQCQKYRTETIQ?rubrikenstyle=panorama

  5. Hella says:

    Wenn ich das Bild sehe – heute nun nach Jahren(!), komme ich unweigerlich zu dem Schluß:

    Das war Absicht!

    Weil: Man hätte schon WEIT bevor das gezeigte Bild entstand, bereits bei den ersten Vorstufen einer derartigen Verdichtung von Personen ernsthafte Maßnahmen zur Verringerung der Personendichte einleiten müssen und solche Dinge sind international ja auch bekannt (schon durch die in den Fußballstadien weltweit gesammelten Erfahrungen mit Menschenmassen! – das ist doch alles BESTENS erforscht – man sieht es an den jeweiligen Einsatztaktiken der Polizeikräfte in und vor Stadien!), werden an mathematischen Fakultäten sogar zum Gegenstand der mathematischen Forschung gemacht, dürften jedem Feuerwehrhauptmann geläufig sein (Panikprävention) – und die Verantwortlichen in Duisburg sollen von all dem und den drohenden Gefahren nichts gewußt haben??
    Wer bitte soll DAS glauben?!

    Ich halte es für denkbar und möglich, daß es ein ganz zynischer, ja infamer Test mit Hinblick auf die in der EU zu erwartenden Massenproteste war: Man wollte ausprobieren, die Leute auch ohne zusätzlich provozierende Schüsse im Ernstfall durch Gedränge einzuschüchtern und zum Stillehalten zu zwingen, ablenkend zu beschäftigen und sich mit sich selbst hilflos zu machen (und zu dezimieren, ohne daß man das den Einsatzkräften direkt anlasten könnte ?). Also möglicherweise eine geheim verabredete Generalprobe für den geplanten Krieg gegen das eigene Volk, sollte es gegen die EU-Diktatur aufmucken.

    Ich lehne Homosexualität und Exzesse wie diese Art von „Festen“ ab – aber dennoch: Es überkommt einen Trauer und Wut – und eben mittlerweile auch Skepsis, wenn man diese Bilder sieht! Dieses Leid wäre mit Sicherheit vermeidbar gewesen!
    Gröblichste Fahrlässigkeit aller Verantwortlichen ist hier noch der harmloseste und allermindeste Vorwurf – ich gehe von heimtückischem, bandenmäßig geplantem Mord aus, denn so unbedarft, daß es das nicht hätte von vornherein kommen sehen, kann kein Ordnungsamt, keine Polizei, kein Veranstalter sein! Nichtmal in einem unterorganisierten Dritte Welt-Land – zu denen Deutschland aber nun weißgott nicht zu zählen ist!

    Mit ganz dickem Halse –

    Hella

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