Die Bertelsmann-Stiftung lud gestern zur allgemeinen Wehklage über die Ablehnung des JMStV. Harald Greywitz, stellv. Vorsitzender der FSM sprach von einem herben Rückschlag. Es habe aufwändige Vorbereitungen gegeben, ein nutzerautonomes Mittel für Eltern zu schaffen.
Joachim von Gottberg von der FSF vergaß nicht, die Großzügigkeit des JMStV-Ansatzes zu betonen: Es wäre ja ein „Klimmzug des Staates [gewesen], den Anbietern so weit entgegen zu kommen, dass sie selbst klassifizieren dürfen“ (statt sich einer zentralen staatlichen Zensurinfrastruktur zu unterwerfen).
Und dann kam Familienministerin Kristina Köhler.
Sie war laut eigener Vermutung eingeladen worden, weil sie das Politiker-Klischee des digitalen Analphabeten widerlege. Sie lieferte eine 45-minütige Erläuterung ihrer zukünftigen Strategie. Ich muss sagen, dass ich zunächst in der Tat überrascht war, als sie zu ihrer Rede ansetzte, die später als „leidenschaftliches Plädoyer für die Medienkompetenz“ bezeichnet wurde.
Wenn Jugendliche mitgestalten wollten, stellte sie fest, dann träten sie nicht mehr der JU oder den JuSos bei, sondern nutzten das Netz. Und gerade dort würden politische Entscheidungen nicht durchsetzbar, wenn man keine Legitimation durch Mehrheitsentscheidung und Konsens vermittele.
Für den Jugendschutz sei die Entscheidung nötig, ob man ihm mit technischen Schutzeinrichtungen im eigenen PC oder durch Gesetze begegnen wolle. Die Frage sei „nicht, ob wir Kontrolle brauchen, natürlich brauchen wir sie. Die Frage ist, wie solche Entscheidungen zustande kommen.“ – durch Bevormundung oder durch Mündigkeit der Nutzer? Die Entscheidung sei getroffen worden, „als der Staat der Medienkompetenz einen so hohen Stellenwert gegeben hat“.
Wie also beabsichtigt die Familienministerin, die Netzgemeinde möglichst friedlich und freiwillig dem Jugendschutz zu unterwerfen, die Gegenwehr zu vermeiden, mit der dem JMStV begegnet worden war?
Sie habe sich entschieden, die Internetcommunity in die Pflicht zu nehmen: „Die können eben nicht immer nur sagen was alles nicht geht, sondern müssen auch mal selbst ihre Expertise aufbringen und sagen, was geht!“ Deshalb sei das Einbinden der Netzcommunity so wichtig, deshalb habe sie „Dialog Internet“ ins Leben gerufen. Dort träfen sich Experten, Medienvertreter und „auch ein paar Angehörige der Netzgemeinde, was auch immer das sein soll, aber wir haben auf jeden Fall einige dabei.“ In sieben Arbeitsgruppen mit Vorschlägen zu allen zentralen Themen des Internets solle nun ein neuer Weg gefunden werden.
Halten wir fest: Die Netzcommunity, „wer auch immer das sein soll“, wird eingeladen, um sie aus der Reserve zu locken, wird eingeladen, um den Ergebnissen Legitimität zu verleihen. Denn ohne Frage sei es „Bitter, dass wir beim Kinder- und Jugendschutz kein profundes Mittel den Eltern zur Hand reichen können.“ Deshalb sei Ihre Strategie klar: Erziehung zum Mündigkeit der Netznutzer durch Partizipation einerseits und Medienkompetenz andererseits. Diese sei als Chance für wirkungsvollen Jugendschutz zu begreifen.
Von den Ideen „Jugendschutzes“ mit seinen Sperren, Kontrollen und Bevormundungen soll also kein Stück abgewichen werden. Die Netzgemeinde soll nur dazu gebracht werden, sich das alles selbst ins Heft zu diktieren.
Ich hatte mir über lange Strecken der mit John Stuart Mill-Zitaten anstatt Wörtern wie „Risiken“, „Gefahren“ und „rechtsfreier Raum“ gespickten Rede wirklich gedacht „Wow, ich bin Zeuge, wie Frau Köhler eine Horde Lobbyisten in ihren heiligen Hallen der Bertelsmann-Stiftung höchstpersönlich ohrfeigt.“ Doch die abschließenden Worte haben dann vieles wieder relativiert. Es ist die alte Debatte: Einladungen wie die zum Dialog Internet nicht anzunehmen, ist eigentlich keine Option. Man gilt als Verweigerer, der sich danach nicht mehr beklagen darf. Mit der Beteiligung jedoch, sollte man seine Einflussmöglichkeiten nicht überschätzen und muss aufpassen, dass man nicht nur als Quoten-Statist zur Legitimation missbraucht wird. Da heißt es: Aufpassen.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion ließen die Lobbyisten dann einen vom Leder:
„Stattdessen legt man jetzt auf einmal Wert darauf, dass AK Zensur und Chaos Computer Club zu jeder Anhörung geladen werden. Das ist ja wohl eine hysterische Überreaktion. Man darf nicht vergessen, dass sind Partikularinteressen!“ sprach ein Lobbyist (haha), dessen Namen ich verdrängt habe. Später sah er aber ein: „Wir müssen die Mitglieder der Netzgemeinde als Multiplikatoren nutzen, damit sie mit ihrer Autorität dort Missverständnissen entgegenwirken.“
Und Rainer Robra stellte klar: „Der JMStV ist nicht gescheitert weil er abgelehnt wurde, sondern weil er keine Mehrheit hatte“
Ach so.
Nun, die Frage ist ja jetzt, was wir tun sollen. Wenn wir die Hände in den Schoß legen, wird es heißen, wir seien an konstruktiven Vorschlägen ja nicht interessiert. Wenn also unsere Meinung gefragt ist, dann sollten wir auch nicht schweigen.
Klar hat man wohl die Hoffnung, dass wir vielleicht Überwachung, Sperren und Bevormundungen doch irgendwie gut heißen. Und ja, wir müssen wohl aufpassen, dass man uns nicht vielleicht das Wort im Mund herumdreht.
Wenn ich mir so aber die Beteiligung bei der Onlinedebatte ansehe, kann ich nur zum Schluss kommen, dass wir bisher nicht allzu viel tun.
Wir sollten zeigen, dass etwas *geht*. Und zwar jenseits von Bevormundung, Zensurinfrastruktur und Überwachung. Wir sollten uns nicht damit begnügen, zu warnen und gegen die Argumente der Sperrer und Zensierer zu argumentieren, sondern eigene Vorschläge auszuarbeiten und zur Diskussion zu stellen.
Wir sind eingeladen, Vorschläge zu machen. Nun haben wir die Chance, etwas zu sagen, auf das man reagieren *müsste*. Wenn wir mehr vorbringen als Phrasen und Allgemeinplätze, werden wir auch mehr sein als „Quoten-Statisten“. Ich denke nicht, dass das schwer ist. Wir müssen es nur tun.
Unsere Einflussmöglichkeiten mögen gering sein, aber was haben wir zu verlieren? Ich für meinen Teil habe versucht einen konstruktiven Vorschlag zu machen: http://dialog-internet.de/forum/posts/list/102.page
Jetzt wäre es nur gut, wenn ich mit meinem Vorschlag etwas weniger alleine wäre.
Die gute DAme heißt SCHRÖDER.