Der Liedermacher der Revolution in Jemen


Als ich das erste Mal die große Wohngemeinschaft betrete und zwei Hundewelpen namens Taco und Frodo an meiner Hose knabbern, sitzen Ahmed Asery und Shady Nasher im Garten dieses gastfreundlichen Hauses mitten in Addis, der Hauptstadt von Äthiopien. Ahmed spielt Gitarre und singt dieses wunderbar melancholisch-mutige Revolutionslied. Mit seinen kurzen Dreadlocks, dem verschmitzten Lächeln und den freundlichen Augen will er so gar nicht in unser westlich-stereotypes Bild des Jemen und seiner Menschen passen.

Immer mit dabei ist sein guter Freund Shady Nasher. Ein kleiner Mann mit Brille und einer Afro-Frisur, die ihm im Jemen Spott eingebracht hat. Zusammen sind die beiden ein dynamisches Duo: Ahmed der Musiker, der wunderschön Gitarre spielt und singen kann und Shady der Comedian, der mit sonderbaren Grimassen und Slapstick immer wieder die ganze Runde zum Lachen bringt. „Verrrrrrrrry nice!“ sagt Shady. Mehrmals am Tag. Ziemlich laut und doch irgendwie sehr sympathisch.

Die beiden sind nach Äthiopien geflohen, als der Druck im Jemen zu groß wurde. Kurz vor der Flucht mussten sie jeden Tag mehrmals den Ort wechseln, die Geheimpolizei war ihnen auf den Versen, fast niemand wollte sie noch bei sich schlafen lassen. Ständig die Angst von den Häschern den Regimes verschleppt, gefangen oder getötet zu werden. Ständig beobachtet von Männern, die ihnen auf Schritt und Tritt folgten. Auf ihren privaten Telefonnummern erreichten sie am Ende Todesdrohungen. Die Unbekannten, vermutlich vom nationalen Geheimdienst, forderten sie auf, zuhause zu bleiben, mit niemandem mehr Kontakt aufzunehmen – und endlich mit diesen verfluchten Konzerten aufzuhören.

Diese Konzerte waren immer populärer geworden. „Beim ersten Konzert am 20. Februar 2011 waren wir nur ein paar Dutzend Studenten und Menschenrechtsaktivisten“ sagt Ahmed. Die Leute waren skeptisch, ein Mann mit Gitarre, der vom Reggae inspirierte Musik spielte, das passte vielen nicht in den Kram, in einem Land das sehr konservativ und musikfeindlich geprägt ist. „Doch am Ende haben die Leute erst der Musik und dann den Texten zugehört – und dann sogar geklatscht und gejubelt“ sagt der 27-jährige nicht ohne Stolz.

Irgendwann gehörte der Auftritt von Ahmed Asery dann einfach zum Programm der Proteste auf dem „Platz des Wechsels“ in Sanaa. Am Tag der Pressefreiheit, bei Protesten gegen Korruption und bei Massendemonstrationen. Am Ende spielte er vor zehntausenden, die ihn und die Revolution feierten. Videos im Netz zeigen Ahmed, wie er auf den Schultern durch die jubelnde Menge getragen wird.

„Wir singen für Freiheit und Frieden und wollen einen Jemen, der offen für etwas anderes ist und das andere akzeptiert. Und wir wollen, dass die Menschen verstehen, dass sie selbst die Geschichte und die Gastfreundschaft des Jemen sind – und endlich Rache und Kalashnikov hinter sich lassen. Dafür müssen die Menschen für ihre Rechte einstehen und dieses wunderbare schöne Leben fordern“ sagt Ahmed mit leuchtenden Augen und man will ihn umarmen für diese ganze Menschlichkeit, seinen Mut und diesen unverbesserlichen Tatendrang.

Freiheit, Liebe, Friede, soziale Gerechtigkeit, Geschlechterverhältnisse, Korruption, Bildung und Bürgerrechte sind die Themen seiner Protestsongs. In der Bewegung gefiel das nicht allen. Manche wollten lieber mit Gewalt den Präsidenten stürzen. „Und es gab bald Leute, die die Revolution für ihre persönliche Macht missbrauchen wollten. Doch wir wollen genau das nicht, wir brauchen keine Führer, die dann doch wieder das gleiche machen wie immer“ erzählt er weiter – mehr als 1000 Kilometer von der Heimat entfernt.

„Wir sind nach Äthiopien geflohen, weil wir unsere Message von Peace and Love weitertragen wollen, weil hier auch Wurzeln des Reggae liegen und die Musikszene lebendig ist.“ Ahmed will weiter Musik machen, immer umsonst und draußen auf der Straße – auch deshalb sollte es Äthiopien sein, weil die Lebenshaltungskosten dort niedrig sind.

Als sie in Äthiopien ankamen, hatten sie weder Geld noch eine Unterkunft. UNHCR und Danish Refugee Council konnten ihnen nicht weiterhelfen, außer sie würden sich dauerhaft als Flüchtlinge in Äthiopien niederlassen. „Doch das kommt nicht in Frage, denn wir wollen weiterziehen und mit unserer „Peace and Love Tour“ der ganzen Welt über einen freien Jemen und seine Zukunft erzählen“ sagt Ahmed.

Noch soll es nicht die ganze Welt sein, sondern der Hinterhof eines gutbürgerlichen Hauses in Addis. Doch ein paar Tage später sitzen wir dann wirklich in einem uralten Toyota Landcruiser und fahren in den Süden des Landes. Es ist das Ende der Regenzeit und Äthiopien strahlt in sattem Grün. Ahmed hat die Gitarre mit dem bunten Umhängeband dabei und spielt bei jeder Gelegenheit dieses wunderbare Lied, das in Sanaa tausende begeistert hat: er spielt es auf Märkten, Landstraßen, an Kraterseen und in schummrigen Kneipen. Und immer springt der Funke über und zaubert den Leuten mindestens ein Lachen ins Gesicht.

Der kleine Shady filmt jedes dieser spontanen Konzerte. Und man hat schon vor Augen, dass daraus irgendwann doch noch dieses Video entsteht, in dem an hunderten Orten in verschiedenen Ländern der Welt, die Menschen zum immergleichen Freiheitslied mit dem Kopf nicken, klatschen, mitsingen und tanzen. Ein völkerverbindendes Projekt für das momentan vor allem Geld und Unterstützung fehlt.

Ob Ahmed und Shady irgendwann in den Jemen zurückkehren können? „Momentan sieht es nicht so aus. Wir stehen, wie viele andere Aktivist/innen auf der Todesliste des Regimes, jeden Tag hören wir davon, dass Freunde gefangen oder getötet werden. Momentan wäre es eine zu große Gefahr. Aber wenn die Revolution doch noch gelingt und das ganze Regime fällt, dann können wir zurück. Und selbst dann, werde ich als einer der wenigen Christen des Landes immer mit diesem Geheimnis leben.“

Bis zur Rückkehr bleiben den beiden revolutionären Freunden nur Internet und Facebook als Draht in den Jemen. „Wir bekommen täglich über das Netz mit, was im Land passiert, wie es den Aktivisten geht – und schicken unsere Videos zur Ermutigung zurück“ sagt Ahmed.

Während ich diesen Text schreibe, spielt Ahmed Asery wahrscheinlich irgendwo wieder seine Lieder. Und nebendran steht Shady mit der Kamera. Und wenn alles so läuft, wie die beiden sich das vorstellen, kommt die „Peace and Love Tour“ irgendwann spontan an Eurer Haustüre vorbei. Bis eines Tages der Jemen ein freies Land ist.

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Wer die beiden und ihre „Peace and Love Tour“ irgendwie unterstützen will: wir leiten Eure Unterstützungsangebote gerne weiter. Einfach an schreiben (ett) metronaut (punkt) de mailen.

3 Kommentare

  1. Leo says:

    Habe das Vergnügen, die Jungs in Addis besser kennen zu lernen – beeindruckende Jungs mit einer schier unglaublichen Geschichte.

  2. Lou Canova says:

    Tolle Geschichte. Und schöne, klassische Schreibe!

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