Im November sitze ich wie so viele entsetzt vor dem Fernseher und erfahre von einer nationalsozialistischen Terrorgruppe, die unbehelligt mindestens zehn Menschen tötete und einen hochgefährlichen Nagelbombenanschlag verübte. Traurig macht mich die Opferseite. Den Angehörigen der Ermordeten erklärten die Polizeibehörden, dass ihre Ehemänner, Väter oder Brüder Kriminelle gewesen seien. Heute kennen wir das wahre Mordmotiv: rassistischer Hass. Die Angehörigen sind über Jahre allein gelassen und so doppelt bestraft worden.
Ein weiteres Gefühl, das in mir aufkommt, ist blanke Wut, etwa als ich Bundesinnenminister Friedrich in den Tagesthemen sagen höre, bis zur Entdeckung des terroristischen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) habe sich niemand vorstellen können, dass in Deutschland Neonazis gezielt Migrantinnen und Migranten ermorden könnten. Immerhin ist die Aussage ehrlich. Sie belegt implizit, was wir freilich schon lange wissen: dass der deutsche Staat auf dem „rechten Auge“ absichtsvoll und wissentlich blind ist.
Denn natürlich weiß jeder denkende und halbwegs informierte Mensch um die mörderische Brutalität der Nationalsozialisten. Eigentlich sollte man meinen, dass nach Auschwitz, der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs und weiterer monströser Verbrechen daran kein Zweifel mehr bestehen kann. Aber auch die jüngere Zeit ist voll von faschistischen Hassverbrechen: Der Bombenanschlag, der in der Geschichte der BRD die meisten Todesopfer (13) gekostet hat, wurde 1980 auf dem Oktoberfest in München von Neonazis verübt. Seit der Wiedervereinigung wurden mindestens 137 Nichtdeutsche, Obdachlose und Linke durch Faschisten getötet, die Opfer des NSU nicht eingerechnet – eine deutsche Realität, die viel zu wenig im Bewusstsein der breiten Bevölkerung verankert ist.
Schlimm genug, dass sich der Innenminister eine solche intellektuelle und politische Fehlleistung leistet. Noch schlimmer jedoch ist – weil bezeichnend für den Zustand dieses Landes –, dass ihm diese Worte nicht öffentlich um die Ohren gehauen werden, nicht von anderen Politikern, nicht von den Medien. In Deutschland, das sich seiner angeblich vorbildlichen Geschichtspolitik in Sachen „Drittes Reich“ rühmt und dafür entsprechendes Ansehen im Ausland genießt, sind offensichtlich entscheidende Lehren aus der genozidalen Geschichte noch immer nicht gezogen worden.
Dieser Text ist keine umfassende Bestandsaufnahme des Komplexes NSU, die es tatsächlich schon gibt. Die Lektüre des Artikels auf dem Portal „dasdossier.de“ wird wärmstens empfohlen, auch wenn darin die Verbindungen zwischen NSU und NPD ausgespart bleiben. Hier geht es darum, auf den einen oder anderen Punkt hinzuweisen, sich aufdrängende Fragen zu stellen und die sich daraus ableitenden Forderungen zu formulieren.
Die Nationalsozialisten
Bisher gehen die Polizeibehörden offiziell davon aus, dass der NSU eine Zelle mit drei Mitgliedern war, die auf einen Unterstützerkreis von bis zu 20 Personen zählen konnte. Ihr wird die Urheberschaft an neun rassistischen Morden von Nichtdeutschen, ein Nagelbombenattentat in einer migrantisch geprägten Straße in Köln und die Ermordung einer Polizistin in Heilbronn aus nach wie vor ungeklärten Motiven sowie eine Serie von Banküberfällen zur Last gelegt. Immer wieder kommen in diesem Zusammenhang neue Indizien und Fakten ans Licht, sodass eine Einschätzung dessen, was der NSU eigentlich ist, schwierig und wohl noch eine Weile nicht abschließend möglich ist.
Unzweifelhaft handelt es sich um eine Terrorgruppe, deren Ziel die Vertreibung der Migrantinnen und Migranten aus Deutschland ist. Unter diesen sollen durch Morde und Anschläge Angst und Schrecken verbreitet zu werden, um sie zu einer Abwanderung aus Deutschland zu bewegen. Letztlich, davon ist auszugehen, streben die Terroristinnen und Terroristen eine nationalsozialistische Machtergreifung an, alle absehbaren Konsequenzen eingeschlossen.
Das BKA ermittelt gegen den NSU als terroristische Vereinigung, was auf einen hohen Verfolgungsdruck und entsprechende spätere Verurteilungen hoffen lässt. Viele Fragen sind in diesem Zusammenhang offen, allen voran diejenige, ob es sich wirklich „nur“ um eine Terrorzelle handelte oder ob nicht von einem ganzen Netzwerk ausgegangen werden muss. Diverse Indizien und Überlegungen deuten darauf hin, dass wenigstens die bisher lediglich als Unterstützer gehandelten Personen teil der Terrorstruktur waren. Zu befürchten ist aber, dass es sich um ein größeres, landesweites Netzwerk mit internationalen Kontakten handelt.
Dafür spricht, dass Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sich in den neunziger Jahren in Thüringen und Sachsen an der Schnittstelle zwischen den internationalen faschistischen Skinheadorganisationen „Blood & Honour“ und „Hammerskins“ bewegten. In diesen Kreisen hat die britische Terrorgruppe Combat 18, auf deren Konto diverse Morde und unzählige weitere Hassverbrechen gehen, Kult- und Vorbildstatus. Unter gewaltbereiten Faschisten kursiert schon seit langem die Idee des „leaderless resistance“, was letztlich auf einen rassistischen Graswurzelterrorismus hinausläuft. Mit der NSU ist diese Idee Wirklichkeit geworden.
Allerdings ist die gezielte oder auch wahllose Tötung von Menschen durch Brand- und Bombenanschläge faschistischer Provenienz in den westlichen Demokratien keineswegs ein neues Phänomen. Combat 18 und das Attentat auf dem Münchner Oktoberfest wurden bereits angesprochen. In den sechziger bis und achtziger Jahren waren Neofaschisten in Italien die Autoren zahlreicher blutiger Attentate. 1995 verübte ein Rechtsradikaler einen Bombenanschlag mit 168 Toten in Oklahoma City. In Schweden kam es 1991/92 und 2010 zu Serientötungen von Migranten durch gezielte Gewehrschüsse. Auch die Brandanschläge von Mölln, Solingen oder Hünxe in den neunziger Jahren gehören in diese Reihe. Die Verwunderung darüber, dass die NSU keine Bekennerschreiben hinterließ, ist dabei selbst verwunderlich. Denn der Hass spricht für sich.
Neben der Frage, ob es sich beim NSU um ein größeres Netzwerk handelt, muss unbedingt geklärt werden, ob nicht noch mehr Taten von dieser Gruppe verübt wurden. Oder gab, beziehungsweise gibt es vielleicht weitere, von der NSU unabhängige Terrorzirkel? Welche Verbindungen zur NPD gab und gibt es? Es ist jedenfalls erschreckend, dass in den Medien ständig von neuen Taten zu lesen ist, die ungeklärt sind und die rassistisch motiviert sein könnten: unter anderen eine Serie von Brandanschlägen im saarländischen Völklingen zwischen 2006 und 2011, ein vielbeachtete Brandstiftung mit neun Toten 2008 in Ludwigshafen, Morde in Berlin und Duisburg.
Der Verfassungsschutz und die Polizei
Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es angeblich, Gegner der Demokratie zu überwachen und schwere Straftaten im Vorfeld zu verhindern. Es kann überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass der Verfassungsschutz in Sachen NSU dieser Aufgabe nicht nachgekommen ist. Obwohl er über diverse V-Leute in der Naziszene verfügte, konnten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe untertauchen und die Verbrechen begehen. Auch die Gelegenheit, sie relativ frühzeitig festzunehmen, wurde sträflich ausgelassen. Unterstützer konnten ungehindert mit den Untergetauchten Kontakt halten, während offensichtlich in der Szene bekannt war, wer die „Döner-Killer“ waren.
Überhaupt, die „Döner-Morde“, die verächtliche Bezeichnung verweist auf das Versagen der Polizei: Neun Morde an Ausländern begangen in verschiedenen Städten, keine andere Verbindung zwischen den Opfern als dieselbe Mordwaffe. Welch anderes Motiv als Rassismus hätte dafür bitte schön in Frage kommen sollen? Man hätte es wissen können, wissen müssen und man hätte mit aller Kraft in dieser Richtung ermitteln müssen. Zielfahnder und Profiler in München kamen auch tatsächlich zum richtigen Schluss. Aber sie erhielten nicht die richtigen Informationen über die Thüringer Untergetauchten und fanden sich so bei ihren Ermittlungen in einer Sackgasse wieder.
Womit wir wieder beim Verfassungsschutz wären. Dessen Thüringer Filiale hat nachweislich über den „V-Mann“ Tino Brandt, ein wichtiger Nazikader, 200 000 DM in die Szene gepumpt. Statt die Nazis zu bekämpfen, wurde also mitgeholfen, ihre Strukturen aufzubauen. Brandt gibt ganz offen zu, dass er das Geld dafür benutzte. Und das ist nicht der einzige derart gelagerte Fall. Ungeheuerlich.
Ein Verfassungsschutz, der seinen Aufgaben nicht nur nicht gerecht wird, sondern sogar gegenteilig wirkt, hat seine Existenzberechtigung verloren und gehört abgeschafft. Verdeckte Ermittlungen kann auch die Polizei übernehmen. Zumindest gehören aber alle V-Leute sofort abgeschaltet. Dabei handelt es sich um Nationalsozialisten. Sie müssen bekämpft und nicht mit Geld gepampert werden.
Zudem muss konsequent gefragt und erforscht werden, was genau hinter den Aktivitäten des Verfassungsschutzes und dem Versagen der Polizei steckt. Verschiedene Möglichkeiten sind denkbar: Eine wäre wiederholtes und eklatantes fachliches Versagen, was man freilich angesichts der haarsträubenden Fakten kaum glauben mag. So hilft es, sich in Erinnerung zu rufen, dass es bei den Thüringer Terroristen 1998 eine Hausdurchsuchung gab. Grund: vermuteter Sprengstoffbesitz. Und dennoch konnten sie fliehen und untertauchen, denn die Ermittler kamen ohne Haftbefehl. Hätten sie bei linken Hausbesetzern auch nur eine Tüte Schwarzpulver vermutet, wäre das den Fahndern wohl kaum „passiert“.
Dann gibt es die in solchen Fällen bisweilen geäußerte Vermutung, dass die staatlichen Verfolgungsbehörden sich ihre Aufgabenfelder schaffen, um ihre Existenz zu begründen. Doch dann wäre naheliegend, dass die vermeintlichen Gefahren, die von der zu beobachtenden Gruppe ausgehen, aufgebauscht werden würden. Das Gegenteil war der Fall. Außerdem erfüllt der islamische Terrorismus schon trefflich diesen Zweck.
Vieles spricht hingegen dafür, dass innerhalb der Verfassungsschutzämter und der Polizeibehörden Menschen mit rechter Gesinnung sitzen, die nach rechts gerne beide Augen zudrücken oder aus eigener faschistischer Gesinnung Nazis unterstützen. Da ist zum Beispiel Helmut Roewer, Chef des Thüringer Verfassungsschutzes zur fraglichen Zeit Ende der neunziger Jahre. Er publiziert im österreichischen Ares-Verlag, einer Schnittstelle zwischen streng konservativen, neurechten und faschistischen Kreisen. Da ist die nach wie vor nicht plausibel geklärte Frage, wie die Terroristen an gültige Ausweispapiere kamen.
Da ist der Umstand, dass bei dem von der NSU 2006 begangenen Mord in einem Kasseler Internetcafé ein verdeckter Ermittler des hessischen Verfassungsschutzes zugegen war. Er ging nach dem Mord nicht selbst zur Polizei, sondern sein Name musste ermittelt werden. In seinem Herkunftsort trug er den Spitznamen „kleiner Adolf“. Ein seltsamer Zufall. Verbindungen zwischen dem Verfassungsschutz und Nationalsozialisten hat es übrigens auch schon früher gegeben, ganz abgesehen davon, dass die Verfassungsschutzämter in der BRD von „ehemaligen“ Nazis aufgebaut wurden.
Dass die NSU und das mögliche faschistische Netzwerk staatlich gelenkt worden sind, es sich also um Staatsterrorismus handelt, ist nach dem, was bisher bekannt ist, nicht ersichtlich. Welchen Nutzen hätte der deutsche Staat davon? Doch ist es schon erstaunlich, dass in der öffentlichen Debatte diese Möglichkeit nicht wenigstens in Betracht gezogen wird. Denn solchen Staatsterrorismus hat es in westlichen Staaten gegeben. Die „Strategie der Spannung“ zur Bekämpfung des Kommunismus im Italien der sechziger bis achtziger Jahre gehörte dazu. Dahinter stand eine Geheimoperation der NATO, die sich „Stay behind-Einheiten“ oder auch „Gladio“ nannte. Verbindungen zum Oktoberfestattentat von 1980 sind wahrscheinlich. Bis heute ist dieses Kapitel der Geschichte des Kalten Krieges nicht aufgearbeitet. Oder Spanien, wo unter einer sozialdemokratischen Regierung Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre eine staatsterroristische Gruppe („GAL“) ETA-Mitglieder folterte und tötete.
Die Medien und die Öffentlichkeit
Auch die Medien haben, man kann es kaum anders sehen, in ihrer Kontrollfunktion versagt. Unkritisch haben selbst angesehene Blätter wie die Süddeutsche Zeitung die unselige Bezeichnung „Döner-Morde“ für die in Wahrheit rassistische Mordserie übernommen. Es muss noch mal deutlich gesagt werden: Wer es hätte wissen wollen, hätte es wissen können. Und Journalisten, die sich kritischen Geist und einen gewissen Berufsethos zugute halten, hätten es wissen müssen. Sie hätten die richtige Frage stellen („ist nicht Rassismus das Motiv?“) und entsprechend recherchieren müssen.
Aber in der effekthascherischen TV- und Presselandschaft, die viel zu sehr auf den spektakulären Moment ausgerichtet ist, geraten entscheidende Themen nicht selten ins Abseits oder doch recht schnell wieder von der Bildfläche. Natürlich wäre es unfair, alle Medien über einen Kamm zu scheren und ihr Einfluss sollte auch nicht überschätzt werden. Aber dass das Oktoberfestattentat oder die seit Jahren verbreitete faschistische Gewalt kaum im Bewusstsein der breiten Bevölkerung ist, daran haben auch sie einen Anteil. Dass es auch anders geht, zeigt etwa der Umgang der taz und der Berliner Zeitung mit dem Fall NSU. Beide Blätter bleiben konsequent am Thema dran.
In der deutschen Öffentlichkeit sind zwei Defizite deutlich zu erkennen. Von vielen Medien, der Polizei, der Justiz und Politikern wurde und werden die Nationalsozialisten wider besseren Wissens nicht ernst genug gekommen. In Ermittlungsverfahren und Gerichtsprozessen werden rassistische, homophobe oder antikommunistische Motive oft ausgeblendet, die Täter werden zu Einzeltätern, Ausnahmefällen sozusagen, erklärt, was sie in aller Regel nicht sind. Dass Menschen zu Nazis werden, wird in Presse und Fernsehen nicht selten mit Dummheit und sozialer Benachteiligung erklärt. Aber Faschismus hat nichts mit geistiger Zurückgebliebenheit zu tun, eher schon mit einer Schwäche des Herzens, mit einem Mangel an Empathie. Es sei daran erinnert, dass die NSDAP ihre ersten großen Wahlerfolge an den Universitäten feierte und ein Großteil der deutschen Lehrer sich mit Freude das Hakenkreuz ans Revers heftete!
Der Nationalsozialismus ist eine Weltanschauung, die in sich bereits gewalttätig ist, indem sie den Menschen verschiedene Wertigkeiten zuweist. Die NS-Ideologie in Theorie und Praxis muss endlich als das wahrgenommen werden, was sie ist – mörderisch. Das hieße einerseits, Frauen der rechten Szene nicht immer wieder als Anhängsel ihrer männlichen Kameraden zu unterschätzen. Um deutlich zu werden: Beate Zschäpe ist eine politische Überzeugungstäterin, die Mitglied einer terroristischen Vereinigung war und sich nach allem, was wir wissen, gemeinschaftlichen Mord in zehn Fällen zuschulden hat kommen lassen.
Auf der anderen Seite gilt es, die politischen Motive der Täter zu benennen und sie gegebenenfalls strafverschärfend zu gewichten. Als Paradebeispiel, wie verharmlosend bisher mit dem Problem umgegangen wird, mag der Fall des südbadischen Faschisten Thomas Baumann dienen. Baumann wurde nach einem Hinweis der Antifa (und nicht etwa wegen der Ermittlungsanstrengungen der Polizei!) festgenommen. Bei ihm wurde unter anderem ein Schweizer Militärgewehr sowie große Mengen Sprengstoff und Material zum Bombenbau gefunden. Abgefangene E-Mails legen nahe, dass er Anschläge gegen das Autonome Zentrum und Einrichtungen des DGB in Freiburg plante. Trotzdem wurde der Fall medial ziemlich niedrig gehängt und Baumann soll nicht für den Straftatbestand „Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens“ belangt werden.
Das zweite Defizit ist die Unfähigkeit oder der Unwillen, das Undenkbare zu denken. Wie Jörn Schulz in der Jungle World schreibt: „Auch bei vielen staatskritischen Linksliberalen gibt es eine Hemmschwelle bezüglich dessen, was sie für möglich halten wollen. Das wurde nach dem Tod Oury Jallohs deutlich, als die These, es könne sich um Mord gehandelt haben, zurückgewiesen wurde, obwohl die Fakten diese Version möglich erscheinen lassen. Nun wird die These, es könne eine Kooperation zwischen Verfassungsschützern und Neonazis gegeben haben, meist ohne Überprüfung für absurd erklärt.“
Oury Jalloh war ein Schwarzafrikaner, der 2005 in einer Zelle eines Dessauer Polizeireviers verbrannte. Die Polizei behauptet bis heute, er habe sich selbst angezündet, obwohl Oury Jalloh an Händen und Beinen gefesselt war, in einem gekachelten Raum auf einer feuerfesten Matratze lag und vorher, wie es bei Inhaftierungen üblich ist, gründlich nach gefährlichen Gegenständen durchsucht worden war.
Die Berufspolitik
Dieser Abschnitt wäre einen eigenen Artikel wert und würde dann ebenso ausufern wie der vorliegende Text. Zu sprechen wäre über das gescheiterte erste NPD-Verbotsverfahren, das Schüren rassistischer Stimmungen und vieles mehr. Zugleich gilt vieles, was bereits schon angesprochen wurde, auch für die Berufspolitiker. Ich will mich hier auf wenige Aspekte beschränken. Der eine ist die vorsichtig-erfreute Zurkenntnisnahme dessen, wie die Bundespolitik auf das Auffliegen der Thüringer Terroristen reagiert hat. Die aktuelle Stunde des Bundestages, die Einsetzung einer Ombudsfrau für die Angehörigen der Opfer und die anberaumte staatsoffizielle Trauerfeier sind, bei allen vorzunehmenden Einschränkungen, wichtige symbolische Schritte, um wenigstens auf der Opferseite etwas gut zu machen.
Zugleich wird aber bis heute die Dimension faschistischer Gewalt von vielen Politikern verkannt. Obwohl es beispielsweise in Berlin letztes Jahr zu einer Serie von Brandanschlägen gegen linke Einrichtungen wie einer Einrichtung der sozialistischen Jugendorganisation Die Falken (in diesem Fall gleich zweifach) kam, spielt der neue CDU-Innensenator Frank Henkel die Gefahr, der sich offen auftretende Antifaschisten aussetzen, gezielt herunter. In der Auflistung von Linken auf einer Neonazi-Webseite will er keine besondere Bedrohungslage erkennen.
Ein weiterer Punkt ist die vieldiskutierte Extremismustheorie, nach der es links wie rechts des politischen Feldes Extremisten gibt, die sich in Bösartigkeit und Feindschaft gegenüber der Demokratie und den Menschenrechten in nichts nachstehen. Die imaginierte politische Mitte hat mit diesen extremistischen Rändern demnach nichts zu tun. Diese Theorie ist falsch und ohne Fundament und sie führt zu fatalen Konsequenzen. So war und ist bis heute in ihrem Windschatten möglich, dass der Thüringer Verfassungsschutz die kreuzbrave Linkspartei überwacht, die nicht mal zu einer ordentlichen Sachbeschädigung in der Lage wäre. Dieselbe Behörde wohlgemerkt, die zugelassen hat, dass quasi unter ihren Augen Nationalsozialisten zehn Morde begingen!
Die Extremismustheorie ist unter anderem deswegen so fatal, weil mit ihr aus dem Blick gerät, was sozialwissenschaftliche Studien immer wieder aufs Neue belegen: Dass antisemitische, rassistische oder homophobe Weltbilder in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet sind. Es geht eben nicht nur um ein paar Stiefelnazis am rechten Rand, sondern um weitverbreitete Ressentiments und einen konstanten Anteil von 10 bis 20 % der Bevölkerung, der gemäß besagter Studien eine „geschlossen rechte Weltanschauung“ aufweist.
Hinter der Theorie steht außerdem eine besondere Art von „Vergangenheitsbewältigung“: Es soll vergessen gemacht werden, dass der deutsche Konservatismus tief verstrickt in Auschwitz und den Vernichtungskrieg war. Eine scharfe Trennung zwischen Konservativismus und Nationalsozialismus hat in der Zeit von 1920 bis 1945 nicht gegeben. Und, wenn Konservative nicht ausdrücklich dafür kämpfen, gibt es sie noch heute manchmal nicht. Das wird beispielsweise in der Rede von den „Linksextremisten“ deutlich, den Kommunisten von heute, damals wie heute der Lieblingsfeind von Konservativen und Nazis.
Nein, die Theorie gehört auf den Müllhaufen und mit ihr die extrem schädliche „Extremismusklausel“ Kristina Schröders. Die so dringend benötigten zivilgesellschaftlichen antifaschistischen Initiativen haben ohnehin oft einen schweren Stand, weil sie in rechts dominierten Landstrichen angefeindet werden oder weil sie über ungenügende finanzielle Mittel verfügen. Schröders Klausel gängelt sie zusätzlich oder behindert ihre Arbeit.
Forderungen
Folgende Forderungen ergeben sich für mich in dieser Situation:
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Es muss alles zur Aufklärung der Taten und des Wesens der Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ getan werden. Da in diesem Zusammenhang auch die Rolle von Verfassungsschutz und Polizei gründlich untersucht werden muss, ist ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Bundestages unumgänglich.
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Es sollte über Reparationen für die Angehörigen der Opfer nachgedacht werden, denen auch von staatlicher Seite übel mitgespielt wurde.
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Die Brutalität der Nationalsozialisten muss in ihrer ganzen Dimension wahrgenommen und entsprechend gehandelt werden.
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Die V-Leute in der Naziszene müssen sofort abgeschaltet werden. Der Verfassungsschutz gehört aufgelöst.
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Dies eröffnet neue Möglichkeiten, um endlich die NPD zu verbieten. Es ist richtig, man kann Anschauungen nicht verbieten. Aber es muss alles getan werden, um faschistische Strukturen zu zerschlagen.
Eine Einschätzung durch das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin:
http://www.apabiz.de/publikation/monitor/Monitor_Nr53.pdf
Dossiers im Netz zum NSU:
http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3516998?documentId=8740106#
http://www.berliner-zeitung.de/neonazi-terror/11151296,11151296.html
http://www.taz.de/Schwerpunkt-Rechter-Terror/!t178/
Zeitleisten zum NSU:
http://www.blog.schattenbericht.de/nsu/ (apabiz)
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-11/neonazi-trio-kiesewetter
Film „Gladio – Geheimarmeen in Europa“ (ARTE):
Sehr schöner Artikel, danke!
Danke für diesen Artikel, der endlich mal den ganzen Themenkomplex zusammenfasst und die richtigen Schlüsse zieht. Auch wenn ich Verbote jedweder Art (z.B. das NPD) nicht für das richtige Mittel halte, um den Faschismus zu verdrängen. Das liegt daran, dass eben genau diese unsägliche Extremismustheorie dazu führt, dass ein Verbot auf der rechten Seite umgekehrt auch Verbote auf der linken Seite legitimiert. Korrigiert mich, wenn ich da komplett falsch liege.
Macht den Vandalen keinen Vorwurf, die Täter tragen Uniform und Robe.
Erst hat man die Vandalen im Brutkasten gezüchtet und jetzt, wo sie flügge sind, jetzt haben wir auf einmal ein Problem? Das Morden ist nicht das Werk Einzelner – es hat System und auch gar nichts mit der NPD zu tun! Das sind ganz gewöhnliche Kriminelle, nur geistig etwas unterbelichtet.
Der Hallesche Universitätsprofessor Marneros schreibt in seinem Buch (Blinde Gewalt): „Wenn aus purer Lust an sinnloser Gewalt getötet wird“. Er schreibt nicht über die NPD, sondern über ein kulturelles Problem, wo jede kleine Ortschaft über Paramilitärs verfügt, die gehätschelt und getätschelt werden. Kollektive Sympathie wird durch Falschaussagen und Meineide bekundet, weil diese Jungs doch nur das ausführen, wozu man selbst zu feige ist, aber ganz oben auf der Wunschliste steht und einem 45 Jahre lang eingetrichtert wurde.
Schweigen, wegschauen, verdrängen – das ist inzwischen offenbar eine Einstellungsvoraussetzung bei deutschen „Qualitätsmedien“, nicht nur bei Politikern, wenn vor unseren Haustüren geschieht, was aus Gründen der politischen Korrektheit eigentlich gar nicht geschehen darf.
ARD zum Überfall in Halberstadt: Die Anzahl rechtsextremer Übergriffe steigt (in der DDR) kontinuierlich. Von oben verordnet: Aktion Wegschauen – wie die Polizei Rechtsextreme schützt. Die Grünuniformierten hatten nach dem gemeingefährlichen Überfall lediglich die Daten der Opfer aufgenommen, sogar mehrmals hintereinander, nicht die der Täter, die sich immer noch am Tatort befanden.
Man kann die Berichte auch langsamer schreiben und muss ja nicht überall hinsehen, wurden die Polizisten in Dessau angewiesen.
http://www.spiegel.de/spam/0,1518,488716,00.html
Die Spuren der Gewalttaten sind nicht zu übersehen. Die haben getötet, wen sie töten konnten. Aus einem Mord wurde nicht selten ein „Unfall“. Das wahre Ausmaß der Massaker wurde so verharmlost.
Jan Dreßler, Rechtsmediziner an der UNI Leipzig am 25.06.2009 in der LVZ: „40% der Totenscheine sind falsch, weil sich die Angaben auf den Totenscheinen nicht mit den Befunden bei der Autopsie decken“.
Wenn sich die Übermächtigkeit der Täter aber hinter einer grünen Uniform und schwarzen Robe versteckt und das zuständige Justiz- bzw. Innenministerium alles als Bagatelle verharmlosen, „wegschauen“ anordnen, wie soll man da von diesen Jungs Anstand und Toleranz erwarten?
Herr Endrias vom Verein gegen rechte Gewalt: „Die meisten Übergriffe kommen nicht von Skinheads, sondern von scheinbar ganz normalen Menschen“. Das Grundproblem liegt nicht bei Einzeltätern, sondern in der Mitte der Gesellschaft, sagt Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung. „Chronik der Gewalt“, die Massaker der DDR-ler, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Baut wieder eine Mauer um die DDR und schützt die zivilisierte Welt!
Nicht umsonst warnen große internationale Reiseführer eindringlich schon vor einem Besuch in Ostdeutschland – nicht im IRAN. Die Zivilisation hört gleich hinter der Zonengrenze auf.
In diesem Zusammenhang liegt mir diese Seite besonders am Herzen:
http://siggi40.de/xy-ungeloest/
Bisher wurde lediglich, durch einen reinen Zufall, ein einziges Killerkommando zerschlagen! Die Gefahr ist lange nicht vorbei, es gibt Hunderte davon. Staatlich protegiert natürlich.
Ich habe überlebt. Was Du nicht willst das man Dir tut, das für auch keinem andrem zu!!!
+++ Nicht vergessen – nicht vergeben +++
Sehr interessanter Film „Gladio – Geheimarmeen in Europa“.