Bereits um das Jahr 1230 erkannte der Spruchdichter Freidank, dass sich schlechte Nachrichten einfach besser verkaufen: „Böse Nachricht nimmt immer zu. Gute Nachricht kommt bald zur Ruh.“ Der mittelalterliche Dichter formulierte damit eine der elementaren Funktionsweisen der Medien. Diese wurden in der Nachrichtenwert-Theorie seit den 1920er-Jahren wissenschaftlich untersucht und systematisch weiterentwickelt.
Das Bundeskriminalamt (BKA) macht sich genau jenen Nachrichtenfaktor der „Negativität“ zu Nutze. Wie Thomas Stadler feststellte war heute in allerlei Medien, von heise, Stern bis Deutschlandradio, die von der dpa verbreitete Schlagzeile zu lesen:
BKA: Bedrohung durch Internetkriminalität nimmt zu
Enstanden war diese Meldung durch die Veröffentlichung des „Bundeslagebildes Cybercrime 2011“ (PDF, Link zum BKA) und der von BKA und BITKOM gemeinsam verfassten Pressemitteilung mit dem Titel:
Schäden durch Internetkriminalität nehmen zu
Dort ist von einer Steigerung der Schäden durch Internetkriminalität um 16% die Rede. Das BKA schreibt dazu im Bericht aber selbst:
Die Tatsache, dass zu lediglich zwei Deliktsbereichen eine statistische Schadenserfassung erfolgt, lässt zwar keine belastbaren Aussagen zum tatsächlichen monetären Schaden im Bereich Cybercrime zu, reicht aber nach hiesiger Einschätzung aus, um mittel- und langfristig zumindest Entwicklungstendenzen darzustellen.
In der dpa-Meldung liest sich das dann so:
Die Bedrohung durch Cyberkriminalität in Deutschland nimmt laut einem Lagebericht des Bundeskriminalamts (BKA) trotz stagnierender Fallzahlen weiter zu.
Wenn man sich die Zahlen und Charts im Bericht genau anschaut, dann sind in 2011 aber 0,6% weniger Cybercrime-Straftaten begangen worden als im Vorjahr.
Aus diesen Zahlen folgert das BKA dann aber:
Unabhängig von der Entwicklung der reinen Fall- bzw. Schadenszahlen [..] haben die Intensität der kriminellen Aktivitäten im Bereich Cybercrime und das für jeden Internetnutzer bestehende Gefährdungspotenzial weiter zugenommen.
Wenn es schon nicht die Zahlen hergeben, dann nehmen eben Bedrohung und Gefährdungspotenziale weiter zu. Das ist schön diffus und muss nicht weiter belegt werden. Schön sieht man hier auch den Versuch, neben der „Negativität“ weitere Nachrichtenfaktoren wie „Nähe“ (jeden Internetnutzer) und „Identifikation“ zu bedienen.
Mal abgesehen davon, dass Polizeiliche Kriminalstatistiken sowieso mit Vorsicht zu genießen sind, sollte Journalismus auch immer den Absender von Berichten und Pressemitteilungen bei der Bewertung derselben im Auge behalten. Denn der kann unter Umständen noch anderes mit seinen Berichten vorhaben als reine Zahlen und bunte Charts zu verbreiten. Politik machen zum Beispiel.
Wenn man nämlich den Bericht des BKA aufmerksam liest und sich alle Zahlen anschaut, bleibt nur die folgende Analyse, zu der Stadler kommt:
Im Bereich des Cybercrime ist weder ein Anstieg der Deliktszahlen noch der Schäden festzustellen. Jedenfalls aus dem vom BKA vorgelegten “Cybercrime Bundeslagebericht 2011” ergibt sich beides bei näherer Betrachtung nämlich nicht.
Dennoch fabuliert das BKA am Ende des Berichts von wachsenden Problemen und verbindet diese auch mit einer politischen Forderung:
Nach Einschätzung des BKA wird der Bereich Cybercrime auch in den kommenden Jahren ein weiter wachsendes Problem darstellen, welchem die Sicherheitsbehörden sowohl präventiv als auch repressiv weiterhin entschlossen entgegenwirken müssen.
Medien verbreiten so einen Schwachsinn gerne weiter, übernehmen ungeprüft und entgegen der vorgestellten Zahlen die gefärbten Headlines und Schlagworte des Sicherheitsapparats und machen sich damit zum Sprachrohr des BKA. Denn wie sagte der alte Freidank schon am Ende des Hochmittelalters: „Böse Nachricht nimmt immer zu. Gute Nachricht kommt bald zur Ruh.“
Jaja, Cybercrime… klingt so schön dramatisch. Eigentlich ist es „nur“ Betrug. Aber damit kann man ja keine neuen Befugnisse fordern (VDS zum Beispiel). Die Sau hat das BKA ja auch schon letztes Jahr durchs Dorf gejagt, was der Print-SPIEGEL zu einer bekloppten Titelgeschichte verwurstet hat)