Netzpolitik.org hat vor zwei Wochen das Gutachten „Rechtsfragen im Kontext der Abgeordnetenkorruption“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages veröffentlicht. Das Gutachten kritisiert die Rechtslage in Deutschland sehr eindeutig als zu lasch:
Die derzeitige bewusst restriktive Fassung der Norm begegnet in der Rechtswissenschaft und in der öffentlichen Diskussion wegen der Privilegierung von Mandatsträgern erheblicher Kritik, da § 108e StGB als praktisch bedeutungslose „symbolische Gesetzgebung“ viele Fälle strafwürdiger politischer Korruption nicht wirksam erfasse, zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten biete und die gesellschaftspolitische Realität der stetig zunehmenden Einflussnahme auf Parlamentarier nicht adäquat widerspiegele. Angesichts dieser tatbestandlichen Defizite und des vom BGH angemahnten legislatorischen Handlungsbedarfs sowie im Hinblick auf die teilweise noch nicht implementierten Vorgaben internationaler und europäischer Antikorruptionsübereinkommen und ferner auch in rechtsvergleichender Perspektive ist im Ergebnis zu konstatieren, dass die Abgeordnetenbestechung in Deutschland durch den Tatbestand des § 108e StGB hinsichtlich des mit der Norm intendierten Schutzes der Integrität und Unabhängigkeit der Mandatsausübung keine ausreichende strafrechtliche Regelung erfahren hat und diesbezüglich Reformbedarf besteht.
Dem Spiegel lag das Gutachten schon 2008 vor, doch der Öffentlichkeit wurde es nie zugänglich gemacht. Bei Auskünften über das Informationsfreiheitsgesetz wurde das Gutachten den Antragstellern zwar zur Verfügung gestellt, eine weitere Veröffentlichung jedoch mit dem Hinweis auf das Urheberrecht verboten. Netzpolitik hat sich nun über dieses ausgeprochene Verbot hinweggesetzt und das Dokument einfach veröffentlicht. Heute nun kam ein Einschreiben des Bundestages mit der Bitte um Depublikation. Dem ist Netzpolitik nicht gefolgt.
Angesichts der Tatsache, dass Deutschland die UN-Konvention gegen Korruption als eines von wenigen Ländern nicht unterzeichnet und der laschen Gesetzgebung gegen Abgeordnetenkorruption halten wir die Veröffentlichung des Korruptionsgutachtens für richtig und möchten es auch hier als PDF bereitstellen.
Die Argumentation einer Verletzung des Urheberrechtes bei mit Steuergeldern verfassten wissenschaftlichen Gutachten ist wenig stichhaltig. Solche von der öffentlichen Hand erstellten Gutachten sollten der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, idealerweise unter einer Creative Commons Lizenz. Die einzige Argumentation, die diskutierenswert ist, ist die Politisierung des Wissenschaftlichen Dienstes durch eine neue Veröffentlichungspraxis. Es ist in der Tat davon auszugehen, dass die Unabhängigkeit des Wissenschaftlichen Dienstes leidet, wenn Regierungen unliebsame Veröffentlichungen verhindern wollen und Einfluss auf die Wissenschaftler:innen nehmen. Dies widerspräche der Idee des Wissenschaftlichen Dienstes. Hierfür sollten jedoch andere Regeln und Gesetze geschaffen werden, die eine neue Veröffentlichungspraxis und die Unabhängigkeit gleichermaßen gewährleisten können.
Vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung in vielen anderen Bereichen, zum Beispiel auf EU-Ebene bei der Bekämpfung der Korruption im Rohstoffsektor, Transparenz und Antikorruptionsbemühungen ausbremst und unmöglich macht, ist politischer Druck in diesem Gebiet mehr als nötig.