CDU und SPD haben auf ihren Parteitagen von Twitter eingerichtete Eventpages genutzt. Die funktionieren so, dass dort nur bestimmte, ausgewählte und vor allem wohlgesonnene Tweets erscheinen. Jetzt sind gefilterte Twitterwalls an sich nichts Neues und vor allem bei Firmenevents an der Tagesordnung. Meistens funktionieren sie so, dass zum Beispiel nur Tweets auf die Twitterwall gelangen, die von einem bestimmten Account gefavt wurden. So machen auch manche Medien die Auswahl, wenn sie Twitterhashtags als ergänzenden Nachrichtenstream auf ihre Webseiten einbinden.
Trotz der Berichterstattung auf SZ.de und Spiegel.de ist noch nicht wirklich klar, wie die Eventpages genau funktionieren.
Ein Teil der Auswahl wird wohl über Whitelists gesteuert, wie hier bei der SPD sichtbar (hier als TXT). Diese Liste und noch zwei andere wurden vom geschützten Account @SPDConvention12 eingerichtet und gepflegt. Allerdings kann diese Liste alleine nicht die Eventpage steuern, denn sowohl Konrad Lischka wie auch die Piratenpartei brachten Tweets auf die gefilterte Eventpage, allerdings mit einiger Verzögerung. Die SPD hat Lischka bestätigt, dass sie Listen mit Journalisten, Delegierten, usw. ausgesucht habe. Allerdings ist eine Liste, auf der z.B. Lischka verzeichnet ist, nicht auffindbar.
Nach Abschluss des Events leitet die Eventpage übrigens (https://twitter.com/hashtag/spdbpt12) automatisch auf die ungefilterte Twitter-Suche weiter, die Eventpage verschwindet somit und ist nur noch über den Google Cache sichtbar.
Das große Problem an den Twitter-Eventpages ist, dass Browser-Nutzer auf Twitter nach dem Klick auf den Hashtag #spdbpt12 eine gefilterte Seite sehen und mindestens einen weiteren Klick (auf „View all Tweets“) benötigen, um auf die ungefilterten Hashtag-Ergebnisse zu kommen. Da nicht eindeutig gekennzeichnet ist, dass es sich um eine gefilterte Seite handelt, ist davon auszugehen, dass einem guten Teil der Nutzer dabei entgeht, dass sie sich gerade auf einer geschönten SPD-Werbeseite befinden.
Durch diesen Mechanismus wird Twitternutzern intransparent eine gefilterte Realität ausgegeben. Wenn nur Menschen mit Medienkompetenz dies erkennen können, sind Eventpages nichts anderes als Manipulation. Auch ist es ein Unterschied, ob ich vor Ort bei einer Firmenpräsentation eine „kuratierte“ Twitterwall laufen lasse – oder dies einem kompletten Dienst im Netz aufzwinge. Die bisherige Verlässlichkeit, bei einem Hashtag wirklich alle Tweets zu sehen, verschwindet. Hiermit wird Twitter vom reinen Kommunikationsdienst selbst zu einem Medium, das eine Auswahl trifft oder treffen lässt. Gleichzeitig verspielt das Unternehmen viel Glaubwürdigkeit als angeblich unabhängiger Dienst. Sowohl Twitter, wie auch die Eventpage-Nutzer CDU und SPD wären gut beraten, die genauen Mechanismen und Auswahlkriterien offen zu legen.
Wenn hier jemand genaueres weiß, freue ich mich über Ergänzungen in den Kommentaren.
Update:
Folgende Fragen haben wir jetzt an die Pressestellen von SPD und CDU rausgeschickt:
- Ist Twitter auf die Partei mit der Idee einer Eventpage zugekommen?
- Welche (technischen) Anforderungen hat Twitter zur Gestaltung einer Eventpage an die SPD/CDU gestellt? (Listen, Accounterstellung, Grafiken usw.)
- Waren Personen der SPD/CDU oder von Werbeagenturen der SPD an der Planung der EventPage beteiligt?
- Gab es Treffen mit Vertretern von Twitter?
- Welche Kenntnisse hat die SPD/CDU über die Auswahlmechanismen der Event Page? Wie funktioniert dort die Auswahl genau?
- Welche Kenntnisse hat die SPD/CDU über die technischen Abläufe einer Event Page?
- Welche Auswahlkriterien für Tweets hat die SPD/CDU angesetzt?
- Hat Twitter die genauen Mechanismen deutlich gemacht? Gibt es Schriftverkehr dazu?
- Warum hat die SPD/CDU die Twitter Event Page eingesetzt?
- Sehen sie den Einsatz einer solchen Hashtag-Seite nicht als problematisch an?
- Sind der SPD/CDU Kosten für die Eventpage von Twitter gestellt worden?
Update 2:
Die CDU hat geantwortet. Wenn auch nicht entlang der Fragen.
Twitter verweigert mir und auch einigen anderen Journalisten seit Tagen die Antwort auf vertiefende konkrete Fragen zu den „Eventpages“.
Mit diesem Vorfall sollte, diesmal hoffentlich nachhaltiger, allen klar geworden sein, dass Twitter und andere kommerzielle Plattformen nicht die Zukunft des Webs darstellen können.
Das Internet wurde in einer Zeit geschaffen, die von einer neoliberalen anti-aufgeklärten Grundtendenz in der Gesellschaft dominiert wurde. wir sehen dies auch an den Reaktionen vieler gehirngewaschener PR- und Marketing-Peoples, die es als völlig okay betrachten, dass Twitter Manipulation anbietet.
Lischka hat es auf den Punkt gebracht: Die Trennung von Redaktion und Anzeigenabteilung ist in einer Welt, in der jeder (z.B. mit einem Twitter-Account) publizistisch tätig sein kann, zu einer gesellschaftsweiten Logik geworden, die eine demokratische offene Gesellschaft ermöglicht.
Plattformen, die aufgrund ihres kommerziellen Charakters dieser Trennung nicht gerecht werden können oder wollen, sind eine Gefahr für die Demokratie, weil sie eine Art der Kommunikation ermöglichen, der man nicht mehr auch nur ansatzweise trauen kann. Ein Element, das ein solches Misstrauen in die Welt bringt, kann nicht geduldet werden.
Nur die Sklaven einer marktkonformen (ergo nicht echten) Demokratie verteidigen die Twitter-Eventpages als einen „Service“ – Wehret den Anfängen gilt eben im Kampf gegen jedes menschenverachtende und gesellschaftszersetzende Regime, auch solchen die getarnt als „Service“ daherkommen.
Wenn Twitter keine Fragen beantworten will, dann müssten ja SPD und CDU, die diesen Dienst ja in Anspruch genommen haben, folgende Fragen beantworten können:
– Ist Twitter auf die Partei zugekommen?
– Welche Anforderungen hat Twitter zur Gestaltung einer Eventpage an die SPD gestellt? (Listen, Accounterstellung, Grafiken usw.)
– Waren Personen der SPD/CDU oder von Werbeagenturen an der Planung der EventPage beteiligt? Gab es Treffen mit Twitter?
– Welche Kenntnisse hat die SPD/CDU über die Auswahlmechanismen der Event Page?
– Welche Kenntnisse hat die SPD/CDU über die technischen Abläufe einer Event Page?
– Welche Kriterien hat die SPD/CDU angesetzt?
– Hat Twitter die genauen Mechanismen deutlich gemacht? Gibt es Schriftverkehr dazu?
– Warum hat die SPD/CDU die Event Page eingesetzt?
– Sehen sie den Einsatz einer solchen Hashtag-Seite nicht für problematisch?
Diese und noch viel mehr Fragen drängen sich ja auf… ich habe sie deshalb mal an die Pressestellen von CDU und SPD geschickt.
@ Jens Best
Tja, wie Walter Benjamin schon festgestellt hat, ist es immer die Indiestnahme einer (neuen) Technik, die ihr Befreiungspotential bestimmt, nicht die Technik selbst. Solange das Netz kapitalistischen Verwertungsstrukturen unterworfen ist, ist auch nichts mit Freiheit und Emanzipation. Siehe die Googlesuchen, Zombiecookies etc pp. Dazu kommen noch die Überwachungsinteressen unserer freiheitlichen Demokratien, um unsere Freiheit zu schützen, und schon ist alles, was mit Emanzipation zu tun haben dürfte nicht mehr möglich.
Solange der bürgerliche Tausch (man tauscht angeblich gleichwertiges) das bestimmende Moment unserer Gesellschaft ist, so lange wird auch es mit der Freiheit und damit mit der Demokratie nichts. Denn so lange wird immer der gesellschaftlich Mächtigere vom Tausch profitieren und den weniger Mächtigen unterdrücken. Da hilft auch die Trennung von Redaktion und Anzeigenabteilung nichts, da die Redaktion letztlich doch von der bezahlt wird bzw. von ihren Einnahmen, oder?
Gruß
Tobias
Vielleicht nochmal der Aufruf: wenn ihr Leute kennt, die in der CDU und SPD sich mit Netz auskennen und auf der Whitelist waren, fragt sie doch mal an, wie das genau funktioniert hat. Oder wenn ihr genauere Details habt, welche Tweets durchkamen und welche nicht, immer her damit. Es wäre wirklich gut, alle Infos zum Thema zu sammeln.
Interessant! War zwar das erste mal das ich mich mit dem Thema auseinander gesetzt habe, aber gut zu wissen wie das abläuft. Werde mir mal die Meldungen auf SZ und spon dazu anschauen.