Polizeigewalt und Polizeiwillkür sind erstmals nach der großen Amnesty-Kampagne von 2010 wieder als Thema größer auf dem Tisch. „Wir brauchen eine gesellschaftliche und politische Diskussion über Polizeigewalt“ bloggte jüngst Thomas Stadtler nachdem Polizisten in München eine gefesselte Frau auf der Wache Nase und Kiefer brachen. Spiegel.TV berichtete über eine ganze Reihe von Fällen, bei denen Park-Griller und Dolmetscherinnen malträtiert wurden. Und wir mahnen schon seit langem an, dass Pfefferspray sich von der Selbstverteidigungswaffe zum ganz normalen Einsatzmittel auf Demonstrationen gegen z.B. friedliche Sitzblockierer gewandelt hat. Selbst aus Kreisen der Polizei wird mittlerweile Kritik an der Polizeigewalt laut.
Polizeiwillkür und Polizeigewalt – und vor allem die weitreichende Straflosigkeit – stehen Demokratie und Bürgerrechten diametral entgegen. Der Grundwiderspruch liegt darin, dass Polizisten Polizisten kontrollieren und dass dies keine wirkliche Kontrolle sein kann. Während in den letzten Jahren Beschränkungen von Grundrechten durchgesetzt und Befugnisse von Polizeien und Geheimdiensten ausgeweitet wurden, ist die Debatte um Polizeigewalt auch eine Chance das Thema Grund- und Bürgerrechte auf die Tagesordnung zu setzen und diese dann auch konkret einzufordern.
Dabei geht es um folgende Maßnahmen, die der Transparenz dienen und wirksam Polizeigewalt und Polizeiwillkür eindämmen können:
- Kennzeichnungspflicht von Polizisten
Individuelle Erkennbarkeit von Polizisten durch Nummern oder Namen, die eine eindeutige Identifizierbarkeit gewährleisten. Bislang ist die Kennzeichnungspflicht nur in ein paar Bundesländern durchgesetzt und dort wo sie Gesetz ist, wird sie vielfach missachtet. - Unabhängige Untersuchung von Polizeiübergriffen
Wenn Polizisten gegen Polizisten ermitteln, führt das meist zur Einstellung der Verfahren. Unabhängige Instanzen, die weder institutionell noch hierarchisch mit den Polizisten verbunden sind, sind hierbei das Mittel der Wahl. (Positionspapier von Amnesty zu unabhängigen Untersuchungsmechanismen / PDF) - Schutz durch Dokumentation
Was auf Polizeiwachen passiert, geschieht ohne Zeugen. Amnesty International fordert Audio- und Videoaufzeichnungen von Räumen, in denen sich Inhaftierte befinden. Das Material dient nicht der Echtzeitüberwachung, sondern wird vor Manipulationen geschützt an einem sicheren Ort gespeichert und steht unabhängigen Untersuchungsinstanzen zur Verfügung. - Menschenrechte als Bildungsinhalte bei der Polizei
Menschenrechtsthemen in die Polizeiausbildung. Das umfasst Antidiskriminierungstrainings und die Förderung interkultureller Kompetenz.
Zusammen Infos zur Polizeigewalt und zu Maßnahmen dagegen crowdsourcen
Wir würden den Themenkomplex „Polizeigewalt, Transparenz, demokratische Kontrolle“ gerne crowdsourcen, das heißt die Recherchearbeit auf die Schultern vieler legen. Auf Eure Schultern.
Dabei halten wir vor allem folgende Bereiche für interessant:
- eine umfassende Chronik der bewiesenen Fälle von Polizeigewalt zu erstellen. Bewiesene Fälle meint hierbei Verurteilungen und klar dokumentierte Fälle mit Videos, Aufnahmen, Quellen. Wenn jemand Links zu solchen Sammlungen kennt, bitte posten.
- Statistiken zu Körperverletzung im Amt sammeln. Hierbei ist auch die Quote Anzeigen/Verurteilungen interessant.
- Weil Bundestagswahl ist: die Positionen und Vorschläge der antretenden Parteien in Erfahrung bringen. Welche Partei hat welche Vorschläge im Programm? Wie will Partei XY das Problem angehen? Sieht Partei XY überhaupt das Problem? Welche Partei fordert unabhängige Untersuchungsinstanzen? Einen ersten Fragenkatalog haben wir an die Pressestellen der Parteien geschickt.
- die Sammlung von parlamentarischen Anfragen / Gesetzesinitiativen zum Thema Polizeigewalt, Einsatz von Pfefferspray, usw.
- Infografiken erstellen, die das Problem auf einfache Weise erklärbar machen. Ein schönes Beispiel diese Grafik zu Pfefferspray.
Und wie machen wir das mit dem Crowdsourcen?
Als erstes muss diese Aktion natürlich ein wenig bekannter gemacht werden: bloggt darüber! Dann könnt ihr zum Beispiel die Kommentarfunktion nutzen, um hier einfach Dinge ranzupacken. Per Mail an polizeigewalt (at) metronaut de könnt ihr Materialien an uns schicken. Wir haben außerdem ein geschlossenes Etherpad eingerichtet, auf dem ihr gerne mitschreiben könnt. Bitte dazu einfach eine Mail schicken, wir laden Euch dann ein. Ihr könnt natürlich auch auf Euren Blogs zum Thema schreiben und uns die Links schicken.
Kommentare, die keine Ergänzung zum Thema darstellen, werden wir ins diesem Beitrag konsequent löschen. Dazu gehört auf das Aufrechnen von Gewalt vs Polizisten gegen Polizeigewalt. Beide Phänomene sind getrennt voneinander zu betrachten, eine Vermischung der beiden Themen ist für beide Debatten nicht hilfreich.
UPDATE:
Ihr wollt mithelfen? Hier gibt es konkrete Arbeitspakete:
- 19.2.2013: Parlamentsdatenbanken der Länder absuchen nach Anfragen zu Statistiken zu den Aufklärungserfolgen bezüglich Körperverletzung im Amt. Suchwörter: „Körperverletzung im Amt“ / „Rechtswidrige Polizeigewalt“. Achtung: Die Statistiken sind erst seit 2009 flächendeckend eingeführt. Die Daten für Hamburg liegen uns vor.
- 19.2.2013: existierende Chroniken/Linklisten zu Polizeigewalt suchen
Der oben angeführte Forderungskatalog muss zunächst (und zwar an oberster Stelle) um folgenden Punkt ergänzt werden:
Einführung des Straftatbestand des Amtsmissbrauchs.
Um zu erkennen, wie wichtig diese Forderung ist, müssen zum Thema einige Fakten erwähnt werden, welche der Öffentlichkeit in der Regel weder bekannt noch demzufolge thematisiert werden:
Der deutschen Polizei mangelt es vorrangig eindeutig an der Ausbildung am Grundgesetz, und somit an den Grundrechten, sowie am Straftatbestand des Amtsmissbrauchs.
Kaum ein Polizeibeamter – als solcher im Übrigen entweder gemäß § 64 BGG¹ (Bundesbeamtengesetz) oder nach den jeweiligen Landesgesetzen auf das Grundgesetz vereidigt – ist heute in der Lage, die durch Art. 79 Abs. 3 GG (Ewigkeitsklausel) geschützen Artikel 1 und 20 des Grundgesetzes (… vom Rest ganz zu schweigen) auch nur aufzusagen, geschweige denn um- bzw. durchzusetzen und so seinen Amtseid gemäß Art. 20 Abs. 2 GG gegenüber dem Volk als Souverän zumindest im Ansatz zu erfüllen.
Vom Grundrechtsträger auf seine Funktion als Grundrechtsverpflichteter und seine damit verbundene Schutzpflicht gegenüber der Würde des Menschen gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG oder auf seine absolute Bindung an die unmittelbare (erlaubnisfreie) Rechtswirkung der Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG oder auf seine allgemeine Rechtsbindung an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG angesprochen, darf der Grundrechtsträger froh sein, wenn ihn kein rechtswidriger Verwaltungsakt des Polizeibeamten in Form des Einsatzes unmittelbaren Zwangs ereilt und er »nur« ausgelacht und unter Nichtberücksichtigung des Grundrechts auf Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet gemäß Art. 11 GG rechtswidrig des Platzes verwiesen wird; meist mit der offenbarenden Begründung, er würde eine unmittelbare Gefahr darstellen oder begründen; gefolgt vom dem Hinweis: »Sie können sich ja bechwerden oder klagen, wir leben schließlich in einem Rechtsstaat«. Dieser Missbrauch des Grundrechts der Rechtsweggarantie zieht sich wie ein roter Faden durch die Beamtenschaft der Bundesrepublik Deutschland.
Würden Polizeibeamte das Grundgesetz ebensogut kennen, wie den Bußgeldkatalog oder die Besoldungstabelle, dann hätten sich zum Einen viele Diskussionen um Polizeigewalt aufgrund deren marginalen Auftretens erübrigt und zum Zweiten wäre die Polizei dann wirklich der Freund und Helfer der Grundrechtsträger.
Beschwert sich jedoch ein Grundrechtsträger direkt beim Polizeibeamten, dann packt dieser plötzlich immense »Kenntnis« des Grundgesetzes aus der Schublade und fühlt sich unter Berufung auf Art. 2 Abs. 1 GG in seiner persönlichen Ehre beleidigt; verkennend, dass er in seiner Funktion als Staat(svertreter) keine Grundrechte geltend machen kann, denn ein Staat verfügt mangels natürlicher Persönlichkeit über keine Ehre.
Hinzu tritt insbesondere der unheilvolle Mangel am Straftatbestand des Amtsmissbrauchs (§ 339 StGB alter Fassung) in Verbindung mit Art. 103 Abs. 2 GG, wonach eine Tat nur dann bestraft werden kann, wenn deren Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor sie begangen wurde. Das bedeutet im Klartext, dass jeder Beamte die durch ihn vertretene öffentliche Gewalt missbrauchen und die Grundrechte verletzen darf, ohne dafür bestraft werden zu können, sofern er sich keinen eigenen unmittelbaren (eigens) strafbaren Vorteil dadurch verschafft, sondern angeblich »nur seine Arbeit macht«, oder wie Eichmann es ausdrückte: »Ich war nur für die Fahrpläne zuständig«.
Als Einzelstraftatbestand existiert der klassische Amtsmissbrauch in Deutschland nicht mehr. Die Vorschrift des § 339 StGB (alte Fassung) wurde als Amtsmissbrauch in das Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871, RGBl. S. 127, in Kraft getreten am 1. Januar 1872, aufgenommen. Er lautete (Abs. 1): „Ein Beamter, welcher durch Mißbrauch seiner Amtsgewalt oder durch Androhung eines bestimmten Mißbrauchs derselben Jemand zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung widerrechtlich nöthigt, wird mit Gefängniß bestraft.“
Dieses Beamtendelikt wurde (wohl in »weiser« Voraussicht) im Dritten Reich auf der Grundlage des »Erlass des Führers über besondere Vollmachten des Reichsministers der Justiz« vom 20. August 1942 durch Art. 10 Buchst. b, Schlussvorschrift S. 1 der (Ersten) »Verordnung zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue« (Strafrechtsangleichungsverordnung) vom 29. Mai 1943 (Reichsgesetzblatt Teil I 1943 Nummer 57 vom 1. Juni 1943, Seite 339-341) zum 15. Juni 1943 im Auftag Adolf Hitlers von dem Reichsminister der Justiz Otto Georg Thierack ersatzlos aufgehoben; dort hieß es: „§ 339 des Reichsstrafgesetzbuchs wird gestrichen“. Seitdem wurde der Amtsmissbrauch als Einzelstraftatbestand nicht wieder in das StGB aufgenommen.
An diesen Punkten muss angesetzt werden; eine bloße Dokumentation reicht nicht aus, da sich die Reaktionen auf diese dann vorwiegend in moralischer Entrüstung erschöpfen würden, welcher seitens der staatlichen Gewalt mit scheinjurisitischen Argumenten entgegengetreten würde, zu welchen der Normadressat bloß die Schultern zucken kann, sofern er über die o.a. Fakten nicht Beschweid weiß.
¹ § 64 BGG: „Ich schwöre, das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen“
ich empfehle das tool https://crowdmap.com/ für euer vorhaben
Ich sammle schon länger Links zu Berichten über Polizeigewalt.
Vielleicht hilft euch diese Sammlung.
Der Link dazu ist als meine Website angegeben.
Wenn ihr mit Code Hilfe braucht, meldet euch
Wir nutzen gerne eure Aufmunterung zum Kommentieren und möchten euch hiermit auf die tägliche Arbeit unserer NGO, VICTIM.VETO, hinweisen. Auf unserer Plattform bei Facebook http://www.facebook.com/victim.veto posten wir seit nahezu zwei Jahren Medienberichte zu Fällen rechtswidriger und mutmaßlich rechtswidriger Polizeigewalt in Deutschland, möglicherweise die umfangreichste, öffentlich zugängliche Sammlung von Vorfällen, die mediale Aufmerksamkeit erfahren haben.
Unter „Notizen“ haben wir sowohl Verweise auf aktuelle Stellungnahmen, als auch eine Zusammenstellung der Links zu Organisationen, Institutionen und Initiativen, die für Opfer von Polizeigewalt und Menschenrechtsverletzungen von Bedeutung sein können. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit der Rechtssprechung, sammeln deutsch- und englischsprachige wissenschaftliche Literatur zum Thema (und lesen diese auch durch ;). Statistiken und Positionen/Vorschläge der Parteien oder insbesondere auch Statements der Polizeigewerkschaften, wie beispielsweise neulich vor der Wahl in Niedersachsen, finden ebenfalls Berücksichtigung.
Unter Umständen findet ihr Metronaten also auf unserer Plattform die eine oder andere Information, die für euch von Bedeutung wäre. Und natürlich stehen wir auch gerne für einen Austausch – medial oder Face-to-face – zur Verfügung. Unsere Kontaktangaben findet ihr unter „Info“ :)
Beste Grüße vom Team von VICTIM.VETO!
In Hamburg fragt die Linksfraktion regelmäßig nach den Daten:
19.Legislaturperiode:
http://www.grundrechte-kampagne.de/sites/default/files/19_1061 – Körperverletzung im Amt.pdf
http://www.grundrechte-kampagne.de/sites/default/files/19_3665 Körperverletzung im Amt II.pdf
http://www.grundrechte-kampagne.de/sites/default/files/19_5377 Körperverletzung im Amt III.pdf
20. Legislaturperiode (aktuellster Stand:
http://www.grundrechte-kampagne.de/sites/default/files/20_644 KV im Amt I.pdf
http://www.grundrechte-kampagne.de/sites/default/files/20_3279 KV im Amt II.pdf
http://www.grundrechte-kampagne.de/sites/default/files/20_6501 KV im Amt III.pdf
Aus der letzten Anfrage (also Zeitraum 2.2012-1.2013):
„In keinem der im Jahr 2012 eingeleiteten Ermittlungsverfahren konnte die angezeigte Körperverletzung im Amt bestätigt werden, sodass die Verfahren durch Einstellung abgeschlossen wurden.“
Falls ihr Unterstützung bei Grafik/Infografiken braucht, würd‘ ich mich anbieten!
da habt ihr aber vor ganz schoen dicke bretter zu bohren. das halte ich fuer extrem verdienstvoll, aber ich fuerchte das ganze laeuft auf eine “ sammlung nicht nachgewiesener uebergriffe, bei denen aussage gegen aussage steht“ heraus. werde mal in meinen archiven herumsuchen. ich kann nicht beim code helfen nur mit „fakten“.
Cool, danke für die Resonanz und Hilfsangebote! Wenn wir uns jetzt noch nicht melden, dann tun wir das bestimmt später. Ist jetzt noch alles in der initialen Phase und wir sammeln und koordinieren erstmal.
Interessantes Projekt, um sich Ideen zu holen: http://www.policemisconduct.net/
Schade, dass die Anregung vom 17. bzgl. des Amtsmissbrauchs nicht in Euren Maßnahmekatalog aufgonnem wurde.
BTW: Zu Eurer Anmerkung »Einen ersten Fragenkatalog haben wir an die Pressestellen der Parteien geschickt.« – sendet diesen Fragenkatalog doch bitte auch an die Grundrechtepartei; wir haben ihn nicht erhalten.
… aufgenommen natürlich