Der Berliner Piratenabgeordnete Oliver Höfinghoff hat in einer kleinen Anfrage den Senat nach dem Einsatz von Pfefferspray in der Hauptstadt befragt. Die Antworten des Innensenators (Drucksache 17 / 11 898) liegen der Redaktion vor.
Fast 50.000 Reizstoffsprühgeräte gekauft
Die Berliner Polizei hat seit dem Jahr 2001 48.212 Reizstoffsprühgeräte samt Füllung angeschafft und dafür 246.122 Euro ausgegeben. 21.000 der Reizstoffsprühgeräte wurden im Rahmen der Erstanschaffung im Jahr 2001 besorgt. Der Großteil der Sprühgeräte haben eine Größe von 50 ml (RSG3), etwa 1.900 haben ein Fassungsvermögen von 360-400ml (RSG4). Eine Aufschlüsselung der Kaufzahlen nach Jahren ist nach Aussage des Innensenators nicht möglich, da keine Statistik darüber geführt werde.
Im Jahr 2011 wurde nach Angaben der Polizei 683 Mal Pfefferspray in Berlin eingesetzt.Im Jahr 2012 518 Mal und im laufenden Jahr 2013 142 Mal. Nicht erfasst werden Pfeffersprayeinsätze, wenn Einheiten aus anderen Bundesländern die Reizstoffe in Berlin einsetzen oder wenn die Berliner Polizei in anderen Bundesländern Pfefferspray versprüht.
Einsatz von Pfefferspray auf Demonstrationen:
Im Rahmen von Demonstrationen (in der Statistik gibt es vier Anlassarten, die in diese Kategorie passen) will die Berliner Polizei Pfefferspray wie folgt eingesetzt haben:
2011 88 Mal von 683 Pfeffersprayeinsätzen (13%)
2012 35 Mal von 518 Pfeffersprayeinsätzen (7%)
2013 13 Mal von 142 Pfeffersprayeinsätzen (9%)
Auch wenn diese Zahlen angesichts der vielfach beobachteten Pfeffersprayeinsätze bei Demonstrationen in den letzten Jahren als zu niedrig erscheinen, gehört der Einsatz bei politischen Aktionen neben dem Einsatz bei „Körperverletzung“ jeweils zur Spitzengruppe, 2011 ist die Einsatzsituation „Demo“ sogar Spitzenreiter. Unklar bleibt in den Antworten des Innensenators, ob ein mehrfacher Pfeffersprayeinsatz auf einer Demonstration auch mehrfach erfasst wird. Die Statistik gibt auch keine Auskünfte darüber, wieviele Personen von einem Pfeffersprayeinsatz betroffen sind. Die Anzahl der betroffenen/verletzten Personen dürfte bei Demonstrationen um ein Vielfaches höher liegen als bei anderen Einsatzsituationen. „Die Zahlen sind sehr fern von jeder Realität“, kritisiert Höfinghoff in der taz. Er habe in diesem Jahr schon mehr Pfeffersprayeinsätze auf Demonstrationen gesehen als in der Statistik angegeben.
Oft keine Angabe zum Anlass
Hinzu kommen auch noch Einsätze, die mit „Keine Angabe zum Anlass“ gekennzeichnet sind: 40 (2011), 36 (2012) und 11 (2013). Diese Einsatzsituation kommt sehr häufig vor und ist immer unter den Top4 der Einsatzstatistik.
Neben Demonstrationen ist „Körperverletzung“ einer der Hauptanlässe, die Reizstoffe einzusetzen:
2011 72 Mal von 683 Pfeffersprayeinsätzen (11%)
2012 48 Mal von 518 Pfeffersprayeinsätzen (9%)
2013 14 Mal von 142 Pfeffersprayeinsätzen (10%)
Manche Einsatz-Anlässe in der Statistik bleiben unklar. So wurde 2012 ein Mal der Anlass „Tote Person“ angegeben und im Jahr 2013 ein Mal der Anlass „Hilflose Person“. Was sich dahinter verbirgt – es darf spekuliert werden.
Hersteller und Wirkstoffe:
- Chloracetophenon – als Wurfkörper und Beimischung für Wasserwerfer – 2,4–24g CN Chloracetophenon und Alkohol – wird von Nico, Hoernecke und Silberhütte geliefert.
- Pelargonsäurevanillylamid – in Reizstoffsprühgeräten RSG 3 (50 ml) und RSG4 (360-400ml) – wird von International Defence Control System AG und Hoernecke geliefert
Keine Angaben zu Verletzten
Die Berliner Polizei erfasst keine Zahlen über Verletzte durch Pfefferspray. Zudem sind ihr keine Einsätze mit Todesfolge bekannt.
Guter Dekontaminationstipp der Polizei
Der kleinen Anfrage ist als Anlage praktischerweise eine Anleitung zur Erstversorgung von durch Pfefferspray verletzten Personen beigefügt. Dort wird zur Spülung von Augen und der Haut das Produkt „oculav NIT®“ als „wirksamstes bekanntes Dekontaminationsmittel“ angeführt. Das sollte ab jetzt bei keiner Demo fehlen!
Politische Forderungen
Wenn schon die drastische Einschränkung oder gar ein Verbot von Pfefferspray politisch nicht durchsetzbar erscheint, gibt die kleine Anfrage doch Hinweise, wie der Einsatz von Pfefferspray eingedämmt werden könnte:
- Einführung einer jährlichen Einkaufs- und Verbrauchsstatistik
- Einführung der Erfassung von durch Pfefferspray verletzten Personen
- Genauere Beschreibung und Erfassung von Einsatzanlässen
- Genaue Erfassung der Anzahl der von Pfeffersprayeinsätzen betroffenen Personen
In eine ähnliche Richtung argumentiert Höfinghoff: Er fordert, dass Pfeffersprayeinsätze wie Schusswaffeneinsätze dokumentiert werden sollen.
Dazu könnte endlich das Verbot von Beimischungen der Reizstoffe in Wasserwerfer gefordert werden. Deutschland ist eines der wenigen Länder in Europa, in denen das erlaubt ist. Zuletzt waren Reizstoff-Beimischungen in Wasserwerfern bei den Protesten in der Türkei international kritisiert worden.
Das Augenspülmittel darf mensch aber bei einer Demo sicherlich nicht dabei haben. Denn zynischerweise könnte das von der Polizei als „Passivbewaffnung“ (aka „Schutzwaffe“) ausgelegt werden, für deren Mitführen im Versammlungsgesetz ein Straftatbestand existiert. Der Strafrahmen für Verstöße gegen § 17a Versammlungsgesetz beläuft sich auf Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
Uns ist hier kein Fall bekannt, wo das als „Schutzbewaffnung“ verurteilt worden wäre. Es handelt sich hier um Medizin für Notfälle.
Es gibt in Deutschland keinen belegten Fall im letzten Jahrzehnt, dass Reizstoff einem Wasserwerfer beigemischt wurde. Kein Innensenator wird eine Großlage riskieren wollen, die einen Masseneinsatz an Rettungswagen zur Folge haben würde.
Die Schutzbewaffnung bei einem Augenspülmittel ist wirklich vollkommen haltlos.