Caspar Clemens Mierau ist einer, der gut provozieren kann. Er weiß, welche Hebel man ziehen und welche steilen Thesen man in die Arena werfen muss, damit eine Diskussion entsteht.
Troels Oerting ist einer, der bei der Polizei arbeitet. Als Chef der Cybercrime-Abteilung von Europol hat er zuletzt das Ende der Anonymität und des Tor-Netzwerkes gefordert. Jeder habe ein Recht auf Privatsphäre, aber nicht auf Anonymität.
In der notwendigen Diskussion um Hater, Stalker und Gewalttrolle hat Mierau geschrieben, dass man „über die Schattenseiten von Anonymisierungstechniken“ wie Tor reden müsse. Und weiter:
Das Gerücht, Firefox würde bald Tor in den Browser integrieren, lässt böses für die Zukunft erahnen.
Die massenweise Verbreitung eines Anonymisierungstools, lässt also Böses erwarten. Das erinnert sehr an FBI-Direktor James B. Comey, der zur kommenden Standardverschlüsselungsfunktion von iPhones und Androidtelefonen sagte:
Ich kann nicht verstehen, warum Firmen etwas so stark bewerben, das Menschen in die Lage versetzt, sich selbst über das Gesetz zu stellen.
Nun will ich Mierau eigentlich nicht in die Nähe von Hardlinern wie Oerting oder Comey bringen. Aber es ist doch recht klar, wohin eine Schattenseiten-Debatte über Anonymisierungs- und Verschlüsselungstechniken auf direktem Wege führen wird. Mal ganz abgesehen davon, dass in keinem der beiden Artikel gesagt wird, in welche Richtung die Debatte geführt werden sollte. Mierau macht einfach das Fass mal auf und schaut dann genüsslich, wie es sprudelt. Das ist in Zeiten, in denen sich die Salamitaktiker an der Sicherheitsfront wieder richtig aus der Deckung trauen, sehr kontraproduktiv. Es ist Wasser auf den Mühlen der Oertings und Comeys auf dem Weg in eine unfreie, überwachte Gesellschaft.
Die Hater-Debatte hat eine menschliche Seite, in der wir zwischenmenschliche Methoden entwickeln müssen, wie wir die Hater z.B. gesellschaftlich ächten. Und sie hat eine technische Seite, in der es darum geht, dieses Verhalten technisch zu unterbinden. Hierzu gibt es schöne Vorschläge (z.B. für Twitter), die eben nicht die digitale Selbstverteidigung von Grundrechten gegenüber dem Staat, in Misskredit bringen.
Eine Debatte um Anonymisierungstechniken gibt also nicht nur den Salamitaktikern vermeintlich neue lebensweltliche „Argumente“ abseits von Terror und Cybercrime an die Hand, sondern lenkt von der eigentlichen Debatte ab:
Hass im Netz ist ein Problem, sogar das zentrale Problem, das debattenwürdig ist.
Konstruktive Gedanken dazu finden sich in den Artikeln von Mierau leider keine.
Richtiger Artikel. Was der Autor leider vergessen hat: War es nicht ebenjener Caspar Clemens Mierau, der sich über mehrere Jahre mit Popcornpiraten am Haten, Mobbing, Intrigen und Fehltritten gelabt hat und diese mittels des Blogs, quasi als Relevanzverstärker in die Welt und die Massenmedien geblasen hat. Dieser Typ also, dessen Blog quasi parasitär vom Haten lebte, wenn nicht gar das Hassbloggen hierzulande mitkultivierte, stellt sich jetzt hin und macht einen auf „Wir müssen gegen das Haten vorgehen“ – unglaubwürdiger geht es doch kaum. Dass dann dabei die eine Lsöung sein soll, TOR anzugreifen, passt dann wieder wie die Faust aufs Auge.
Das TOR in wahrscheinlich der Mehrzahl der Anwendungsfälle für Harassment und ähnliches benutzt wird ist dann also Kolateralschaden, ja?
Wie kommst du zu dieser (falschen) Vermutung?
Da ich auf Twitter gerade von @hakantee für diesen Artikel kritisiert werde, eine weitere Erläuterung:
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir für eine freie Gesellschaft Kollateralschäden in Kauf nehmen müssen. Der Kollateralschaden von „keine Totalüberwachung“ ist die Möglichkeit, dass Menschen aufgrund Kriminalität und Terror Schaden nehmen können. Der Kollateralschaden eines digitalen Selbstverteidigungstools wie Tor ist, dass es Leute nutzen, die es für gesetzwidrige, schäbige, ekelhafte Zwecke nutzen. Das ist eine Abwägung, die wir machen müssen, wenn wir in einer freien Gesellschaft leben möchten – so weh das tun mag, sich auf diese Kompromisse einzulassen.
Ich halte das mit Tor für einen Nebenschauplatz, da der meiste Hass offen mit Klarnamen auf Facebook, Mailinglisten, usw. stattfindet.
Wie im Artikel am Beispiel Twitter beschrieben, gibt es andere Varianten, in denen die User*innen selbstbestimmt mit Hatern umgehen können – ohne dass dies Zensurinfrastrukturen oder Grundrechteabbau Vorschub leistet. Dass diese Möglichkeiten nicht existieren und sich z.B. Twitter dem Thema quasi nicht annimmt, ist ein Problem. Hier müssen wir Druck aufbauen.
Hinzu kommt, dass wir als diejenigen, die Harrassment/Hating/Stalking ablehnen, gefragt sind, wie wir solches Verhalten ächten. Das ist eine gesellschaftliche Frage, eine Frage des Hinschauens, des Einmischens. Wenn ein Linus Torvald ein Hater ist, dann muss er eben Ablehnung erfahren. Wenn freie Softwareentwickler für ihre freie Arbeit mit Gewalt bedroht werden, weil es irgendwelchen anderen Computerleuten nicht passt, dann müssen wir dagegen vorgehen und dieses Verhalten offenlegen. Wenn irgendwelche Maskulinisten sich zusammenrotten, um Menschen anzugreifen, dann müssen wir das thematisieren.
Ich weiß aus guten alten Forenzeiten, dass es immer auch eine Selbstheilungskraft von Communities gibt. Diese müssen wir schärfen, in dem wir Awareness schaffen, ein Bewusstsein, in dem Leute nicht alles hinnehmen und sensibler für Harrassment werden.
Ich weigere mich aber, dass wichtige Abwehrtechniken gegen den umfassenden Überwachungsstaat, die eh schon von staatlicher Seite unter Druck stehen, jetzt weiter unterhöhlt werden.
Danke für den wichtigen und guten Artikel zu diesem Diskurs. Gerade wir, die einem etwas fortschrittlicheren Teil der Erde leben, haben auch eine moralische Verpflichtung, uns für das Recht auf Anonymität und die Benutzung entsprechender Werkzeuge im Internet stark zu machen. Und das heißt nicht, dass wir deswegen Hass, Stalking und andere Grausamkeiten im Netz tolerieren (müssen).
Und lasst euch nicht von den seltsamen Stimmen aus dem Schlaraffenland beirren: Es ist nämlich weltfremd und vermessen anzunehmen, dass Leute in unfreieren Gegenden („$Unrechtsstaat“) oder hierzulande verfolgte Menschen (zB Geflüchtete) den Kampf für Grundrechte im Herzen der ehemaligen Kolonialmächte nicht schätzen.