Die Neunziger sind zurück

CC-BY-NC Caruso Pinguin

Geschichte wiederholt sich nicht. Sagen Historiker. Doch wenn man mal genauer hinschaut, gibt es Muster und Parallelen in der jetzigen xenophoben, islamophoben und rassistischen Debatte, die sehr an die Vorgänge am Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger Jahre erinnern.

Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt über die damalige Zeit:

Nach 1983 waren die Themen Asyl und Ausländer zunächst nur noch Gegenstand der ständigen Auseinandersetzungen zwischen den profilierungsbedürftigen Koalitionspartnern FDP und CSU. Dies änderte sich erst im Sommer 1986, als die CSU vor den bayerischen Landtagswahlen eine Asylkampagne entfachte, in deren Gefolge die Republikaner ihren ersten Wahlerfolg hatten. Nachdem CDU und CSU anschließend noch mehrmals das Asylproblem thematisierten, ohne andererseits Entscheidendes zu ändern, profitierten rechtsradikale Parteien 1988/89 in mehreren Wahlen von diesen Kampagnen: die Republikaner in Berlin, die NPD in Frankfurt und schließlich erneut die Republikaner bei den Europawahlen.

Das Muster ist klar: Da, wo eine rassistische Debatte von etablierten Parteien befördert wird, wenden sich Wähler dem „Original“ zu. Das ist jetzt mit der AfD der Fall. Dies befördert gleichzeitig eine Art rassistische Radikalisierungsspirale: Die etablierten Parteien wollen die Wähler nicht verlieren und stellen selbst wiederum Forderungen auf, um die abgewanderten Wähler zurückzugewinnen.

In diesem Zusammenhang sind auch die Umarmungsversuche („Innenminister de Maziere: Sorgen Ernst nehmen“ / „Landeszentrale für Politische Bildung Sachsen: Runder Tisch mit Pegida“) mit der rassistischen Pegida-Bewegung zu stellen oder Bestrebungen in der CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD zu fördern. Auch ist Merkels Verurteilung von Pegida nichts anderes als ein solcher schäbiger Versuch, wenn sie gleichzeitig verlautbaren lässt:

Dennoch müsse die Regierung die Sorgen der Bürger ernst nehmen. Die Zuwanderung nach Deutschland und die steigenden Asylbewerberzahlen beschäftigten die Bevölkerung…

Weiter im Text der BpB:

Ein Jahr nach der Wiedervereinigung 1990, die von öffentlicher Xenophobie bemerkenswert frei geblieben war, stiegen die Frustrationen. Während Umfragen zeigten, dass eher die Aussiedler, die zahlenmäßig überwogen, als Belastung empfunden wurden, kanalisierten CSU- und CDU-Politiker nach den vor 1989 eingespielten Mustern die Aggressionen gegen die Asylbewerber, bis hin zu Forderungen nach einer „asylantenfreien Zone“. Konsequenz dieser Kampagne waren erneut Stimmengewinne rechtsradikaler Parteien bei den Wahlen in HB (Land Bremen) 1991, B.W. (Land Baden-Württemberg) und S.H. (Land Schleswig-Holstein) 1992 und eine bundesweite Welle von Gewaltanschlägen gegen Asylbewerber, andere Ausländer und später auch Deutsche.

In einem Kontext, in dem etablierte Parteien (insbesondere Christdemokraten) xenophobe oder rassistische Forderungen stellen, fühlen sich die radikaleren Kräfte der Rechten bestärkt, auch gewaltvoll vorzugehen. Die rechte Gesamtstimmung „aus der Mitte der Gesellschaft“ und das Gefühl eines „parlamentarischen Arms“ befördert Gewalt und Rechtsradikalismus, da das Tabu entfällt.

Da „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (vergl. u.a. Mitte-Studien FES oder Uni-Leipzig sowie die interessante Einordnung in Marktförmigkeit) sehr verbreitet ist, fallen Forderungen, die diese Ressentiments bestärken, auf fruchtbaren Boden.

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Sehr aufschlussreich liest sich für den Vergleich der Debatten der ausführliche Wikipedia-Artikel zur Asyldebatte. Doch weiter im Text der BpB:

Auch wichtige Medien schürten planmäßig die Fremdenfeindlichkeit, die Bild-Zeitung plakatierte dies sogar regionalspezifisch („Asylanten im Ruhrgebiet“). Bundesinnenminister Kanther sprach im Rückblick von der Notwendigkeit der Zuspitzung, was auch zu „Hitzegraden“ geführt habe (Prantl 1994: 53). In der Asylverwaltung entstand zugleich ein Vollzugsdefizit bei den Anerkennungsverfahren, was immer längere Aufenthaltszeiten zur Folge hatte und somit faktisch Einwanderungsprozesse herbeiführte. Bundeskanzler Kohl sprach von einem „Staatsnotstand“. Die Kampagne führte schließlich zu einer großen Erregung der Öffentlichkeit und Tausenden von gewaltsamen Anschlägen, meist von Jugendlichen, die sich durch das ausländerfeindliche Klima ermutigt fühlten. Schließlich gaben SPD und FDP im Asylkompromiss vom 6. Dezember 1992 weitgehend nach…

Auch wenn die Rolle der Medien in der jetzigen Debatte nicht auf Planmäßigkeit schließen lässt, sind auch hier Muster erkennbar:

  • die Medien geben den Scharfmachern Platz, die Rechtspopulisten der AfD sind gern gesehene Gäste in Talkshows. Das trägt zur weiteren Etablierung rassistischer Positionen im Fernsehen bei und stärkt die AfD und außerparlamentarische Bewegungen wie die Pegida mit jedem weiteren Auftritt.
  • Die Titel der Talkshows sind unterschwellig rassistisch wie „Gewalt im Namen Allahs – wie denken unsere Muslime?“ (Jauch) oder spielen Rassisten in die Hände wie „Aufstand fürs Abendland“, in dem im Teaser Fragen gestellt werden wie „Müssen wir das Asylrecht verschärfen?

Die jüngste Forderung der CSU, dass Ausländer deutsch zu Hause sprechen sollten, ist vermutlich auch so eine kanthersche „Notwendigkeit der Zuspitzung“.

Auch im Muster bewegen sich Reaktionen von Behörden und Verwaltung, die in der jetzigen Debatte wieder suggerieren, dass sie überfordert (zu beachten auch die Überschrift des Mediums!) seien, dass es nicht genug Platz für Geflüchtete gäbe. Untermauert wird dies, indem sie unmenschliche Zustände in Asylbewerberheimen und Lagern (bewusst) in Kauf nehmen und das Bild der Überforderung vertiefen. Zur Erinnerung: Die Flüchtlingszahlen heute gegegenüber 1992 bewegen sich bei etwa einem Drittel von damals.

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Mit allen diesen Mustern und Parallen verwundert es dann nicht mehr, dass im Jahr 2014 mehr Straf- und Gewalttaten gegen Geflüchtete verübt wurden als in den Jahren 2012 und 2013 zusammen.

Das Learning aus den Vorgängen der frühen Neunziger und den sichtbaren Parallelen der heutigen Debatte ist:

Wer Verständnis für die „Sorgen“ und Positionen der Pegida-Rassisten äußert, sie umgarnt oder zu Runden Tischen einlädt, ihnen medial Raum und Relevanz für ihre Positionen gibt oder ihre Positionen aufnimmt, vertritt und weiterträgt, der reicht denjenigen bewusst oder unbewusst ein Feuerzeug, die Asylbewerberunterkünfte abfackeln wollen.

Wenn wir als Gesellschaft nicht die Pogromstimmung der frühen Neunziger Jahre wiederholen wollen, ist es jetzt höchste Zeit  gegenzusteuern.