Gentrifizierung, Verdrängung und sinnlose Großprojekte gibt es nicht nur in Berlin und Hamburg. Im Gastbeitrag beschreibt Christoph Hager aus Bozen, wie das Zentrum seiner Stadt umgekrempelt werden soll – und wie sich Bürgerinnen und Bürger dagegen wehren. Eine Realsatire aus Südtirol.
Was bisher geschah…
Ein Anwohner hat die bisherige Geschichte des „Kaufhauses“ Bozen einmal so umrissen: „Der wegen Korruption vorbestrafte Großinvestor René Benko kommt eines Tages mit einem Koffer voll von 500 Euro Scheinen nach Bozen: Er lässt zu seinem Gunsten das Gesetz ‚Lex Benko‘ einführen, damit er ein gigantisches Kaufhausprojekt einreichen kann, das vorsieht, einen öffentlichen Park samt Busbahnhof und kürzlich renovierter Nachbarhäuser zuzubetonieren. Die Stadträte und der Bürgermeister allen voran breiten ihm den roten Teppich aus…“
Der zweite Teil der Geschichte verläuft so, dass einige kritische Bürger mit einer Unterschriftensammlung die Gemeinde dazu zwingen, eine öffentliche Debatte mit unabhängigen Experten über die bevorstehende Umgestaltung der Innenstadt durchzuführen. Erst in dieser Debatte kommen die katastrophalen Auswirkungen des als „im öffentlichen Interesse“ deklarierten Einkaufszentrums an das Tageslicht:
- die Halbierung des öffentlichen Bahnhofsparkes
- hunderte Meter lange Anfahrtstunnel in die Tiefgaragen auf Kosten des Steuerzahlers
- die Versetzung des öffentlichen Busbahnhofes an den Stadtrand
- Degradierung des bestehenden Einzelhandels
- die absichtliche Verdrängung der bestehenden Bevölkerung, zu 50% Migranten
- stattdessen eine „Gated Community“ auf den Dächern für die Reichen und Schönen
Selbst in Schilda hätte diese Geschichte spätestens jetzt zu einem öffentlichen Aufschrei geführt. Aber in Bozen? Hier hat die Lobby des Großinvestors lokale Politik und Medien fest im Griff: in hochglänzenden Zeitungsbeilagen wird allen Einwohnern der angeblich schon beschlossene Baubeginn verkündet und mit dem Titel gefeiert: „so schön [sic!] wird Bozen“. Die uninformierte Öffentlichkeit hält das Einkaufszentrum für die Lösung aller Probleme: Wirtschaftskrise, Migranten, Arbeit, Kleinkriminalität, Verkehr – alles – selbst die Umwelt profitiert angeblich von einigen Energiesparlampen.
… und wie es jetzt weitergeht.
Die Satireseite Kaufhaus-Bozen.bz bringt jetzt Aufklärung nach Schilda Bozen. Sie sieht der Originalseite zum Verwechseln ähnlich. Bei so viel Realsatire war es anscheinend nicht nötig, neue Dinge zu erfinden, sondern nur noch zu erzählen, u.a. von…
- lustigen Lobbyisten, die sich für die Freiheit von allen Lobbys einsetzen
- Großinvestoren, die Sonderrechte für sich beanspruchen und auch noch bekommen
- einem Bürgermeister, der im Auftrag des Investors unwillige Anwohner besucht und sie zum Verkauf ihres Grundstücks überreden will
- von unglaublich realitätsnahen Schönwetter-Renderings des zukünftigen Einkaufszentrums, bereinigt von sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten und zugepackt mit shoppenden Vertretern einer homogenen „white upper middle class“
Bei all diesen Gemeinsamkeiten fällt es gar nicht mehr auf, dass auf der Satireseite Geldscheine wie heilsame Versprechungen vom Himmel flattern. Kann eine Stadt so leichtgläubig sein?
Danke für diesen köstlichen Bericht aus Schilzen (=Schilda x Bozen)!
Während woanders diese Shopping-Malls Auslaufmodelle sind (Signa-Benko hat Karstadt kostenfrei übernommen und überlegt, wie er jetzt ebenso kostenfrei die 14.000 Mitarbeiter entsorgen soll während er gewinnträchtig Grundstücke hin und her schiebt) wacht Bozen aus seinem parocchialen Dämmerschlaf auf weil mit Geldbündeln gewedelt wird und meint, mit dieser Glitzerwelt den Stein der Weisen entdeckt zu haben. Dabei beißen die empörten Bürger und die herbeigezogenen Fachleute bei den beratungsresistenten Politickern (weil sie nicht richtig ticken!) auf Granit. Kein sachliches Argument führt zur Nachdenklichkeit, ja, wird nicht einmal angehört obwohl in zwei Monaten Gemeinderatswahlen sind und die Wählerquittung ins Haus steht. Benko ist rechtskräftig wegen Bestechung verurteilt – das war sicher nicht seine einzige Aktion aus dem Geldkoffer. Wer mehr über diesen Wunderknaben aus der Innsbrucker Vorstadt und seinen griechischen (!) Finanzier wissen will, der lese die „Wirtschfatswoche“ vom 23.2.2015 in der die Verschachtelungen der Signa-Geldwaschmaschine genau beschrieben wird.
Indessen hagern wir Südtiroler mit dem Schicksal der politischen Dummheit.
Prof. Dr.arch. Andreas Gottlieb Hempel, der sich als „Deitscher“ in dieser Sache engagiert einmischt – denn das hat Bozen nicht verdient!
Nachdem ich heute mehrere Stunden lang durch die Straßen gepilgert bin, um Flugzettel und Plakate zu verteilen, fühle ich mich wirklich wie ein Metronaut unter Schilzbürgern. Die Leute wissen überhaupt nicht worum es geht, sie sind desinformiert, aber auch nicht neugierig darauf, mehr darüber zu erfahren. So irgendeine Mischung aus Resignation und Hoffnung, dass sich schon alles von alleine zum Besseren wenden wird. Irgendwann!!
Das Lachen über die Satire ist mir schnell vergangen: ich kenne Bozen sehr gut. Wir machen dort jährlich unseren Familienurlaub bzw. halten dort einige Tage auf dem Weg zum Gardasee. Nur zu gut kann ich mich an den Obstmarkt erinnern und die fantastische Altstadt mit Mittelalterflair. Schade, dass korrupte bzw. unzurechnungsfähige Politiker so beeinflussbar sind. Wenn ich ein Einkaufszentrum will, kann ich gleich um die Ecke in die Schönhauser Allee Arcaden, für die ewig gleichen Handelsketten fahre ich doch nicht nach Bozen. Auf der Satireseite gibt es den Hinweis, die Gemeinderäte Bozens direkt anzuschreiben. Vielleicht bringt es ja was. Andernfalls werden wir unsere Urlaubspläne auf unbestimmt ändern müssen.
Ich würde Herrn Hempel in dieser Angelegenheit nicht als „Deitschn“, sondern als „Piefke“ bezeichnen.
Der Gastbeitrag ist schwammig und distanziert sich von jeder Objektivität. Als Bürger des Bozner Zentrums nehme ich nicht Partei für oder gegen das Kaufhaus, sondern befürworte eine Aufwertung dieses Areals, welches wir Bozner seit der Nachkriegszeit immer vermeiden. Es ist ein unattraktives Stück Bozen und muss aufgewertet werden.
Kurioserweise haben die Kaufhaus Bozen-Gegner geschwiegen, als eine Gruppe um den Bozner Kaufmann Georg Oberrauch (Sportler) sich gegen Benkos Bauprojekt massiv engagiert haben. Damals haben die Leute, denen auch Arch. Hempel angehört, geschlafen. Heute, nach vielen Anpassungen und Diskussionen, dem fertigen Bericht der Dienstleiterkonferenz, erwachen sie und geben „gscheide“ (intellektuelle) Kommentare ab. So stelle ich mir Bürgerbeteiligung nicht vor.