Die Diskreditierer kommen

Eine Kunstaktion verselbständigt sich, wird zu zivilem Ungehorsam und sofort kommen Diskreditierer aus den politischen und publizistischen Löchern. Ziviler Ungehorsam vor dem Reichstag, dazu noch erfolgreich, sichtbar, symbolstark – das geht ja gar nicht. Da hört die Kunst nun wirklich auf!

Der Reigen der Diskreditierer tanzt in der Tagesschau-Redaktion los, die zwar berichtetete, aber den Kern – die Gräber vor dem Reichstag – nicht in ihrem Beitrag zeigt. Das geht bieder weiter mit Hannah Beitzer in der Süddeutschen, die in ihrem staatstragenden Kommentar quasi fragt: „Warum wollt ihr denn Aufmerksamkeit, wir berichten doch schon so viel“ um dann zu pauschal zu urteilen „Die Mittel schaden dem Zweck“ . Die Titanic zerlegt Beitzers Kommentar übrigens sehr schön. Oder Lenz Jacobsen, der wunderbar arrogant schreiben kann – und nur die typischen linken Demonstranten gesehen haben will.

Bei der Berliner Zeitung und der BZ ist der Rasen, im Sinne „Was das den Steuerzahler wieder kostet“ in den Vordergrund der Berichterstattung gerückt. In der Berliner Morgenpost wird geprüft, ob die Sprenkleranlage Schaden genommen habe. Lang und breit darf CDU-Mann Spallek – übrigens in Verkennung der Realität – die These vom Schwarzen Block vertreten, dem das Zentrum für politische Schönheit unter „gröbstem Missbrauch von Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht“ Raum gegeben hätte. Man versucht das Unerklärliche und Überraschende der Aktion in gängige Feindbildmuster zu pressen.

Auch richtig toll die Theaterkritiker von nachtkritik: Dort hatte man dem Zentrum bei der Mauerkreuze-Aktion letztes Jahr vorgeworfen, sie habe die Demonstranten in Bulgarien – böse, böse – als Statisten missbraucht. Als jetzt die Demonstranten alles selbst in die Hand nehmen, beklagt Esther Slevogt bitterlich, die Aktionskünstler seien „zur leichten Beute für Instrumentalisierer und Populisten“ geworden. Ja, was denn nun? Und war die Frau überhaupt auf der Reichstagswiese?

Feindbilder finden sich leicht: Da ist die selbstüberzeugte Aktionskünstlergruppe, die sich ja nur selber feiert, auf die man draufhauen kann. Oder die Meta-Meta-Diskussion, die man selber führt, aber gleichzeitig kritisiert, weil das ja die wirklich wichtigen Themen verdecke.

Oder jene linken Gruppen erst, die jetzt der Aktion vorwerfen, dass sie sich nicht auf die hier lebenden Flüchtlinge konzentriere.  Und überhaupt, die Kreuze als falsches Zeichen. Ein Problem findet sich immer. Es sind jene, die jede Aktion zerreden und in ihrem kleiner werdenden Diskurstürmchen festsitzen. Da ist man halt schon auch mal neidisch, wenn man selbst nicht über die zusammengespaltete eigene Szene hinaus mobilisieren kann – und andere aus dem Stand eine bundesweite Debatte entfachen und nebenbei unter Einbezug ganz vieler Szenen eine der schönsten Aktionen des zivilen Ungehorsams der letzten Jahre vom Zaun brechen. So gut, dass der John F. Nebel gar nicht mehr aus dem Schwärmen rauskommt.

Update:
Einen habe ich noch. Das Hamburger Abendblatt beweist die große Kunst der vollkommenen politischen Entkernung. Das muss man erstmal so hinbekommen!

Ähnlich die Bild-Zeitung:

6 Kommentare

  1. RuiMiruel says:

    Danke für den Beitrag! Eine treffende Zusammenfassung der „Diskreditierer“.

    achja: Die Berliner Morgenpost gehört seit letztem Jahr nicht mehr zur Axel Springer.

  2. Michael says:

    Die Freunde ist groß und so wie du schreibst auch fast ansteckend. Die Geschichte der letzten Woche ist berauschend. Einige lustige, mitreißende Momente, die einem Mut geben und Lust, noch mehr zu machen. Genauso ist die Kritik von den Etablierten – wie die Titanic wunderbar zerreißt – ein Abzeichen für bornierten Journalismus.
    Aber ich habe aus drei Gründen das Gefühl, dass es bei dieser Geschichte Gewinner und Verlierer gab. Zumindest medial: das ZPS mag jetzt berühmt sein, doch seine Fehler werden noch lange auf ihm lasten, bei jeder weiteren Inszenierung wird ab jetzt noch genauer hin geschaut. a) schaffen sie es auch die Menschen, über die sie reden, die „entrechteten und Entmündigten“ selber nicht zu entmündigen? b) werden sie weiterhin die Geste der Selbstherrlichkeit als Ausgangspunkt der eigenen Rolle im Spiel wählen? c) bestehen sie auf humanistischem Ideal und entsprechend elitären Ästhetik?

    Denn so wie sie jetzt spielen kann ich vor allem applaudieren, weil sie mit so viel Inbrunst mit dem Kunstdiskurs spielen und ihre Rhetorik ein Bollwerk ist der für Spektakel sorgt. Und tatsächlich, und das ist ganz ohne Ironie gemeint – weil sie etwas wagen und auch mal ganz schön aufs Maul fallen. In diesem Fall eben aus den Patzern die implizit in den vier Punkten oben erwähnt sind.

    Ich habe beim ZPS das Gefühl, es sei eine historisch fehl platzierte Gruppe 47: die haben damals, in der Nachkriegszeit betont wie sehr sie als elitäre intellektuelle allen ex-Nazis, allen Sowjets und allen Amis misstrauen müssen, die von Demokratie sprechen. Wie die Demokratie von Menschen wie Ihnen, als Elite der Denker, den anderen beigebracht werden müsse. Sie waren unheimlich urteilsstark in ihren Treffen und luden Leute aus, wenn sie sich einmal nicht bewährten und nicht „mithalten“ konnten. Immer mit einer Geste der Macht, die mitschwang. Vermutlich war es damals der einzige Modus Vivendi in dieser erstickenden Zeit.

    Und keine Frage, wir leben auch heute in einer erstickenden Zeit. Doch wenn das ZPS heute eine solche Gruppe 47 sein möchte, dann sollten sie sehen: wir sind nicht im Nachkriegsdeutschland wo alle Ex-Nazis auf neue Karrieren hoffen und sich als Demokraten verkleiden, wo die großen Intellektuellen umgebracht wurden oder auswanderten. Und der Humanismus ist ein überholtes Projekt, seitdem wir postkoloniale Denkschulen haben. Die Erstickung von heute ist eine andere und ihr sollte auch ideologisch anders begegnet werden.

    Ich danke, und ich applaudiere für den Mut den sie haben. Sich so angreifbar zu machen. So viel aufzuwirbeln. Und wenn sie es mit der Kunst ernst meinen, dann werden sie ebenso wie der HAU-Künstler, der ungefragt Grindr Profile am Heinrichsplatz live streamte darauf bestehen, dass es so was noch nie gegeben habe und es ästhetisch interessant war. Wenn sie aber auf Menschlichkeit setzen, dann werden sie in den Dialog mit denjenigen Gruppen treten, für deren Rechte sie kämpfen wollten und sie bitten, eng mit ihnen zusammenarbeiten zu dürfen.

    Die Gewinner in dieser Geschichte sind all diejenigen, die sich bisher nicht trauten etwas zu tun und keinen Kontakt zu Geflüchteten aufgenommen haben – obwohl sie in unmittelbarer Nähe in den Städten wohnten. Für diejenigen, die gerne mal den Mächtigen den Mittelfinger zeigten. Verlierer sind die Mächtigen, die sich als hilflos zeigten und die Refugees, die ausgeschlossen wurden, wie die Familien der verstorbenen, weil sie in keinster Weise eine Stimme bekamen – vermutlich bewusst. Ob das ZPS als Gewinner gelten darf, wird sich daher erst nach der nächsten Aktion zeigen: ob sie dann weiter auf die oben genannten Punkte bestehen werden oder aus der Kritik lernen. Ich drücke die Daumen.

  3. Martin Däniken says:

    Och menno, da haben Künstler gute Ideen und alle die keine Ideen haben machen diese madig.
    Deshalb
    „Diskreditiert die Diskreditierer!“
    oder
    „Disst die Disser!“

  4. Zu dem angeblichen Schaden von 10000 € vielleicht noch dieser Hinweis:
    http://morgenschau.blogspot.de/2015/06/skandal-nach-kunst-aktion.html

  5. Fred S. says:

    Es muss heissen #diehottentottenkommen

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