Am Rande der Konferenz „Theater trifft Aktion“ (Blog) im Schauspiel Dortmund waren die zwei derzeit bekanntesten politischen Aktionskünstler-Gruppen des Landes auf der Theaterbühne zu sehen: Das Peng! Collective und das Zentrum für politische Schönheit.
Zerrissene Aktivisten beim sozialdemokratischen Kindergeburtstag
Das Peng! Collective lädt am Freitagabend zur Gründungsparty von „Die Populistinnen„, einer Agentur für die Zivilgesellschaft. In clownesker Garderobe bekommt der Zuschauer zuerst eine Werkschau der bisherigen Aktionen zu sehen. Die sonst gekonnte Ästhetik der Aktionen und Videos des Kollektivs, sollen wohl in buntem Glitzer gebrochen werden. Man fragt sich dabei: Warum?
Dann schwebt eine Frau in rotem Kleid von der Decke, fordert manifestartig einen neuen, linken Populismus. Die Forderung ist so richtig wie problematisch in Zeiten von AfD und Pegida. Die Janusköpfigkeit des Populismus kommt rüber in diesem Stück, das eigentlich keines sein will. Doch das Populus lässt sich nicht richtig mitreissen. Irgendwann raunt jemand im Raum „Sozialdemokratischer Kindergeburtstag“, während der Brechtsche Chor die Zitate aus dem Manifest der Frau in Rot erkennt: „Guy Debord!“
Zum Schluss gibt es eine cheesy Populistenhymne zum Mitsingen, Konfettikanonen, Sekt und rote Luftballons.
Die Schwierigkeit des Abends zeigt sich eindrucksvoll an der Zerissenheit eines Aktivisten auf der Bühne, der während des Stückes so aussieht als würde er sich die ganze Zeit fragen „Was mache ich hier nur?“ Am Morgen nach der Premiere wird er direkt nach Lesbos fliegen, um Flüchtende aus Seenot zu retten.
Die Zusammenarbeit von Peng! mit dem Schauspiel Dortmund ist auf zwei Jahre angelegt. Es ist davon auszugehen, dass die Theaterbühne in dieser Zeit eine Nebenrolle spielen wird und die Aktionskünstler wieder dorthin gehen können, wo es den Mächtigen auch weh tut. Denn das erregt mehr Widerspruch als jedes Theater, wie die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Pengs Fluchthilfekampagne in Deutschland und Österreich zeigen.
Naiver humanitärer Militarismus ohne Ausweg
Ein komplett anderes Setting dann am Samstagabend: Im Stück „2099“ des Zentrums für politische Schönheit beschimpfen vier weiße Männer aus der Zukunft das Publikum etwa zwei Stunden lang. Wehrlos muss man sich in moralinsaurer, durchaus gut gespielter Weise, vorwerfen lassen, dass man so wie die Nazi-Großelterngeneration handle – und nichts gegen das Unrecht dieser Tage tue. Um dies zu untermauern, werden Proteste auf der Straße oder Gesten der Willkommenskultur als nutzlos weggewischt. Überhaupt gibt es in diesem Stück keine anderen Mittel zur Rettung der Menschlichkeit als Vorsitzender der UNO zu werden oder seine Kinder bewaffnet in humanitäre Interventionen zu schicken.
So bleiben am Ende nur der hierarchische Glaube an eine internationale politische Institution und naiver humanitärer Militarismus im Raum. Das Publikum verharrt handlungsunfähig in Duldungsstarre. Empowerment sieht anders aus.
Als provokantes Zuckerstückchen obendrauf gibt das Zentrum dann vor, dass es mehrere Holocauste bis zum Jahr 2099 gegeben habe. Das Spiel mit der Singularität des Holocausts als Provokation, gewürzt mit den Opferzahlen nicht vergleichbarer Völkermorde.
Die schwere Moral, die bei den Aktionen und Kampagnen des Zentrums auf großartige Weise funktioniert, führt im Theater zu einer auf zwei Stunden verdichteten Unerträglichkeit. In den Aktionen dagegen lässt sich diese Moral trefflich adressieren: Sie zerrt die Verantwortlichen von Unmenschlichkeit auf die große Bühne der bundesweiten medialen Öffentlichkeit, schafft bewegende Situationen und stiftet auf der Bühne des Protests tausende Laiendarsteller zu zivilem Ungehorsam und politischer Poesie an. Im Theater bleibt die Moral einfach nur bitter. Sie hinterlässt – ganz im Gegensatz zu den genialen und beflügelnden Aktionen des Zentrums – Hoffnungslosigkeit. Wachrütteln geht anders.
Scheitern als Chance
Die ersten Theaterbühnenversuche des Peng! Collective und des Zentrums für politische Schönheit scheitern also beide. Sie zeigen – so verschieden sie sind – dass sich politische Aktionskunst eben nur schwer von den gekonnt bespielten Bühnen der Subversion auf die klassische Theaterbühne transferieren lässt.
Genau diese Schwierigkeit war auch Thema bei der Konferenz „Theater trifft Aktion“ – ohne, dass irgendeiner der gut 30 Konferenzteilnehmer aus Theater, Performance, Aktivismus, Aktionskunst, Kommunikationsguerilla und Journalismus sagen konnte, wie das eigentlich richtig gut zusammengehen kann. Hinzu kommt, dass die Stadttheater verstaubt wirken und ihre Rolle in der Gesellschaft neu definieren müssen. Genau deswegen ist der Versuch des Dortmunder Intendanten Kay Voges („Wir wollen uns durch Aktionskunst im Theater stören lassen“) vollkommen richtig:
Radikale Aktionskunst ins Theater tragen und ausprobieren, was möglich ist.
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