Man kann zum Torten stehen wie man will. Man kann das ablehnen, weil es Regeln verletzt. Oder man kann das gut finden, weil es Regeln verletzt. Ich habe volles Verständnis für beide Meinungen.
Aber ich glaube ja, dass auf allen Seiten ganz viele Menschen die politische Aktionsform des Tortens nicht verstanden haben. Es geht beim Torten niemals darum, einen Menschen körperlich zu verletzen.
Gewissermaßen ist das Torten ein Spiel mit Sahne und Verachtung für eine Person. Eine bewusste Grenzübertretung, die aber einen festen Rahmen, ja eine Harmlosigkeit hat. Dieser Rahmen wird gesteckt durch Schlagsahne und einen weichen Biscuitboden. Dieser Rahmen wird gesteckt durch die Geschichte von Tortenschlachten bei Laurel & Hardy. Dieser Rahmen wird gesteckt, weil es verdammt nochmal nur eine Sahnetorte ist. Es gibt sogar ein Reglement der Internationale der Konditoren, in dem die Zusammensetzung der Torten festgelegt ist. Die Philosophie des Großmeisters des Metiers, Noël Godin, sieht sogar vor, dass der Tortenwerfer so lächerlich wie möglich aussieht in der Aktion. Damit der spielerische Rahmen gewahrt bleibt.
Dieser Rahmen war auch bei von Storch gesteckt, weil der Tortenwerfer als Clown kam. Der Rahmen wird auch gesteckt dadurch, dass der Tortenwerfer bewusst das Risiko eingeht, dass er geschnappt wird oder dass er die Kleidung der getorteten Person bezahlen muss. Oder gar eine Anzeige wegen Beleidigung kassiert.
Diesen im Endeffekt doch sehr klaren Rahmen des Spiels verlassen gerade viele und insbesondere jene, die mit Gewalt und Mord drohen. Und das ist, bei allem Unverständnis für diejenigen, die jetzt ihrem Hass freien Lauf lassen, das demaskierende Element der Sahnetorte.
Der politische Akt des Tortens entfaltet im Fall Storch nicht nur im Moment des Tortens seine Kraft, sondern darüber hinaus, weil er offenlegt, welche Haltungen die Anhänger von Frau von Storch haben. Das ist furchteinflößend, nicht nur für den armen Tortenwerfer, der jetzt wegen des Wurfes einer Sahnetorte um sein Leben bangen muss.
Es ist furchteinflößend auch für all jene, die in einer liberalen demokratischen Gesellschaft leben wollen, die auch mal einen Tortenwurf aushält – ob jetzt gegen Frau von Storch, Herrn Guttenberg, Herrn Trittin, Bill Gates, Karl Lagerfeld oder irgendeinen anderen Prominenten oder Politiker.
—
Dieser Beitrag erschien in kürzerer Form zuerst als Leserkommentar unter diesem Artikel. Wer sich für die Aktionsform interessiert, findet in der englischen Wikipedia sogar eine Liste von Getorteten mit den jeweiligen Gründen und Urhebern.
Trackbacks