Irgendwie war der 1. Mai schon mal spannender. Flüchten vor wildgewordenen Polizeieinheiten, Kessel, Festnahmen, Tränengas, Barrikaden bauen – habe ich alles hier kennen , lieben und hassen gelernt. Irgendwann kam mir das Kreuzberger Ritual dann doch blöd vor, weil ich nicht mehr wusste, warum ich mich da eigentlich so in Gefahr brachte. Wofür ich mir von bayrischen Cops die Nase brechen lassen sollte. Als der gute Bewegungsonkel und linke Protestprofessor Peter Grottian vor ein paar Jahren mit Studierenden das Konzept „Denk Mai Neu!“ angestoßen hatte, wurde die Idee allerorten als unrealistisch abgetan. Der Plan damals war: die Polizei zieht sich aus Kreuzberg zurück und der 1. Mai sollte politischer werden. Wegen der „Befriedungsidee“ wurde Grottian das Auto angezündet und das Projekt nicht wirklich umgesetzt.
Stattdessen adaptierten Parteien und Initiativen das Teile des Konzepts – das MyFest entstand. Obwohl das MyFest weitaus unpolitischer und weniger radikal ist, zeigt es doch, dass die interkulturelle Zusammenarbeit in Kreuzberg hervorragend funktioniert. Und auch die Polizei hat begriffen, dass die 15 Jahre der harten Knüppel-gegen-Alle-Linie zu nix geführt hat. Also: ein später Sieg für Grottian?
Vielleicht ein Teilerfolg. Das MyFest erfreut sich zwar großer Beliebtheit, aber irgendwie habe ich keinen Bock auf ein von Zivibullen verseuchtes Fest zu gehen auf dem politische Inhalte unter den Tisch fallen. „Die pumpen da echt viel Kohle rein“ sagte mir ein Freund mit dem Hochglanz-Lageplan des Festes in der Hand. MyFest ist also „Denk Mai Neu!“ mit weniger radikalen Inhalten, mehr Mainstream und Zusammenarbeit mit der Polizei. Andererseits scheint auch die linke Szene gemerkt zu haben, dass die Kreuzberger Krawalle schwer politisch zu vermitteln sind. Die Hauptakteure des „Revolutionären 1. Mai“ haben sich von den „Maifestspielen“ verabschiedet. Vorübergehend.
Stattdessen gab es dieses Jahr in Berlin erstmals eine Mayday-Parade, die zwar bunt – aber vielleicht ein bisschen wenig radikal und sehr handzahm – daherkam. Alles in allem war´s dennoch ganz schön. Massig verschiedene und auch gute Redebeiräge, dazu viel Musik, tanzende Leute – aber nicht den geringsten Nervenkitzel, dass irgendetwas außergewöhnliches passieren würde. Die Frage ist eben: sollte ein 1. Mai einfach nur nett und schön sein?
Fragen schreien ja bekanntlich nach Antworten. Deshalb meine nahezu polit-freihe Einschätzung: Ja, der 1, Mai sollte vielleicht einfach nur nett und schön sein. Solidarisches Miteinander, mit guten Freunden unterwegs sein und über die Bedeutung von Arbeit, Politik, Regierung und Gott und die Welt diskutieren – das reicht doch. Ganz ehrlich: Scheiß auf die „Re-Politisierung“ und „Stichtag für die große Revolution: 1. Mai“-Attitüde. Plakativer Schwachsinn. Ich für meinen Teil habe gar keinen Bock mehr auf einen Zivi-hier-Rütli-Schüler-da-Veranstaltung. Ich bin jedenfalls raus und froh, am 1. Mai nicht buckeln zu müssen. Politik kann so einfach sein.
Man koennte ja langsam mal darueber nachdenken, den ersten Mai nicht mehr der Erwerbsarbeit zu stiften. Das ist eh ein ausgehendes Modell.