„Geistige Eigentumsrechte sind wie eine Enteignung der Menschen“ – Interview mit Silke Helfrich über den Gemeingüter-Report

Abbildung Gemeingüter, CC-BY-SA Gemeingueter Report, Heinrich-Boell-Stiftung

Silke Helfrich ist eine der Autor_innen des Gemeingüter-Reports. Sie lebt? und? arbeitet? derzeit? als ?freie? Publizistin ?in ?Jena ?und ?betreibt ?seit ?2007 unter ?www.commonsblog.de ?ein ?deutschsprachiges ?Blog ?zum? Thema ?Gemeingu?ter.

Ihr stellt am Montag den Gemeingüter-Report vor – was kann man sich darunter vorstellen?

Der Gemeingüter-Report ist eine Broschüre, die Lesespaß und Durchblick bringt in einer Debatte, die normalerweise als „komplex“ bezeichnet wird. Sie behandelt Software und Saatgut, Medikamente und Waldkaffee, öffentliche Plätze und das Urheberrecht. Wir schreiben darüber, wie das alles zusammen geht.

Wir erklären, was es mit den Gemeingütern (commons) auf sich hat. Wir erzählen mit Geschichten aus aller Welt, wofür wir sie brauchen und was sie von öffentlichen Gütern unterscheidet. Vor allem aber geht es uns darum, wie wir so wirtschaften, leben und produzieren können, dass Gemeingüter nicht den Bach runtergehen.

Wir nennen diese Produktionsweise in Anlehnung an Yochai Benklers Commons based Peer Production „Gemeine Peer Produktion“. Warum „gemein“? Weil es uns von der ersten bis zur letzten Seite um die Wiederentdeckung des „uns gemeinen“ geht, also der Dinge, auf die wir alle ein Anrecht habe. Die zwar nicht einfach „allen“ und schon gar nicht niemandem“, aber auch nicht einem Einzelnen gehören.

Du machst selbst das commonsblog. Was begeistert Dich persönlich an Gemeingütern?

Eine ganze Menge. Ich erinnere mich an das erste AHA-Erlebnis. Wir hatten eine argentinische Softwareaktivistin zu einer „Ökokonferenz“ eingeladen. Das war 2004 in Mexiko City. Sie hörte sich zwei Tage lang die Vorträge „der Ökos“ an. Lernte viel darüber, dass Saatgut nicht mehr so genutzt werden kann, wie das über Jahrhunderte der Fall war. Immer neue so genannte „Geistige Eigentumsrechte“ schoben dem einen Riegel vor. Wir alle hatten dank der aktuellen Arbeiten von James Boyle einen Begriff dafür wiederentdeckt: die „enclosure of the commons“, die Einhegung der Gemeingüter. Und wir lernten, dass dieser Prozess schon seit Hunderten von Jahren von statten ging und in immer tiefere Schichten von Leben und Wissen vordrang. Die „enclosure of the commons“ ist wie eine Enteignung der Menschen, sie verlieren die Kontrolle über all jene Dinge, die sie zum Leben brauchen.

Gegen Ende der Konferenz stand dann besagte Softwareakivistin auf der Redeliste. Sie klappte ihren Computer auf, warf ein Dia an die Wand und fragte: „Für wen arbeitet Ihr Computer?“ … dann kam ein wahrer Feuerwerksvortrag darüber, dass man Code und Kulturtechniken heute auch nicht mehr so nutzen darf, wie das seit Jahrhunderten der Fall war. Die Parallelen waren augenöffnend. Mir hat das ermöglicht, plötzlich auf Debatten zu schauen, die ich früher für „zu kompliziert und zu technisch“ gehalten habe.

Es ist, als habe man eine neue Brille auf und entdecke die Welt jeden Tag neu. Jeden Tag eine neue Geschichte über die „Einhegung der Gemeingüter“, aber auch jeden Tag ein Mutmacher. Über Menschen, die sich ihre Autonomie zurück erobern. „Jenseits von Markt und Staat“, wie wir gern sagen. Jenseits heißt für mich, darüber hinausweisend, wieder Unabhängigkeit von den Zwängen des Marktes gewinnen und den Staat immer da in die Schranken verweisen, wo er zum Verhinderer einer Gemeingüterkultur wird. Und das ist leider ziemlich oft der Fall.

Sich mit dem Thema zu befassen wirkt wie ein Antidepressivum – im Gegensatz zum deutschen Urheberrecht, das offenbar Museumsleute und Archivare (und nicht nur die) depressiv macht. Das Urheberrecht istleider ein beliebtes Instrument der Einhegung der Gemeingüter geworden. Wir müssen unseren Blick für diese Instrumente schärfen…

Gemeingüter – und vor allem Creative Commons – sind ja bei Bloggerinnen und Bloggern recht bekannt. Wie können die Gemeingüter in der Gesamtbevölkerung einen höheren Stellenwert bekommen?

Nun, Creative Commons (genauer – einige CC Lizenzen) sind zunächst ein Instrument, das uns hilft, Wissen und Kultur frei zu halten. Ein Instrument, das dafür sorgt, dass unsere Nutzungsrechte an den Schätzen, den niemand wirklich individuell geschaffen hat (wir schöpfen immer aus der Allmende, egal was wir tun) nicht übermäßig eingeschränkt werden.

Die Idee der Gemeingüter ist aber mehr als eine Ansammlung von Instrumenten. Für mich ist es eine Weltsicht, in dem viele der politischen Auseinandersetzungen und Paradigmen der letzten Jahrzehnte zusammen laufen. Und diese Weltsicht müssen wir stark machen. Damit das gelingt, brauchen wir einen starken Begriff. Deshalb haben wir den Report geschrieben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Termin:
Die Vorstellung des Gemeingüter-Reports findet am Montag, den 22. Februar um 19.30 Uhr in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin statt. Nach der Präsentation besteht die Möglichkeit zur Diskussion.

Wir werden den Gemeingüter-Report in einem gesonderten Artikel noch vorstellen. Mit dem Gemeingüter-Report beschäftigen sich auch die Donutpiraten.

Abbildung CC-BY-SA Gemeingüter-Report, HBS

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