Ich liebe Fußball. Ich gehe gern ins Stadion. Ich fiebere mit bei Weltmeisterschaften. Ich bin einer von Millionen Bundesttrainern, die blöde Kommentare zu Spielen ablassen, ich juble, wenn ein Tor fällt und drücke die Daumen für so manches Team. Ich fordere gelbe Karten, zittere beim Elfmeterschießen, freue mich für die Außenseiter. Ich mag gute Fußballspiele, schöne Tore und das Kribbeln dieses Sports.
Doch, was seit 2006 bei Weltmeisterschaften passiert, befremdet mich. Euer Sommermärchen in Schwarz-Rot-Gold, von der Fahne am Fahrrad bis zum Deutschland-Kondom für den Autoaußenspiegel. Das nimmt Züge an, die mir Angst machen. Und es sind gar nicht mal die stilistischen Fehltritte von Idiotenhüten und um die Hüfte gebundenen Deutschlandfahnen. Es sind nicht die Autos, die mit acht Fahnen überladen sind und einfach lächerlich aussehen. Es ist nicht einmal die 13 Meter lange Deutschlandfahne, die irgendwo im Prenzlauer Berg aus dem Fenster hängt. Auch wenn ich mich frage, warum Menschen soviel Energie in so einen Scheiss stecken.
Es ist die Gesamtsituation, in der Dir die Mehrheit der Menschen weismachen will, dass dieser überbordende Patriotismus etwas ganz Normales sei. Es ist das Reden, dass diese deutschlandfarbene Begeisterung doch nur Euphorie sei. Dass es doch nur ein Spiel sei – und der Deutschlandadler ein harmloses Vereinswappen. Eure Naivität im Umgang mit Nationalfarben, Nation und Deutschland befremdet mich.
Und: Ich habe keine Lust mir anhören zu müssen, dass ich ein Spielverderber sei, nur weil ich nicht für Deutschland bin. Ich habe kein Bock darauf, mich irgendwie rechtfertigen zu müssen, weil ich nicht für Deutschland bin. Ich habe keine Lust mir sagen zu lassen, dass wir die Vergangenheit vergessen sollen – und dieser Patriotismus etwas ganz anderes sei. Ich habe keine Lust auf Euer Geschwätz von der „Unbeschwertheit“. Ich habe keine Lust komisch angeschaut zu werden, wenn ich für das „gegnerische“ Team bin. Und ich habe keine Lust auf das zigtausendfache „Mach doch mit! Es ist so schön!“ in Euren bemalten Gesichtern. Ich habe keine Lust auf Euren patriotischen Zwang, der zunehmend auch die schönsten Gesichter zu hässlichen Fratzen macht.
Fußball ist ein Spiel. Ich liebe dieses Spiel. Und deswegen habe ich keine Lust auf Euren Massenwahn. Ich finde das Konstrukt von Nation altbacken, rückwärtsgewandt und gefährlich. Deswegen lehne ich Euer Sommermärchen ab. Es gibt soviele schöne Ideen des Zusammenlebens. Unabhängig von Land, Nation, Rasse, Geschlecht. Ihr mit Eurem Nationalismus und dem ganzen patriotischen Brimborium seid auf dem Weg in die andere Richtung. Und ihr merkt es nicht mal.
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dein unwohlsein teile ich prinzipiell, aber du tritts in die selbe fall, wie alle anderen, die da meinen, es würde „deutschland“ spielen.
dabei spielen noch nicht mal zwingend die besten deutschen fussballer, sondern es spielt die 1. auswahl des deutschen fussball bundes; ein verband von fussball-vereinen in deutschland.
zugegeben: die staatsbürgerschaft ist dabei das wichtigste kriterium, aber eben auch nur ein konstrukt und prinzipiell veränderbar.
h&m
ps: mitglied seit über dreißig jahren. und damit ist nicht deutschland gemeint, sondern der dfb. theoretisch bin ich sogar spielberechtigt.
Andere Wörter, andere Stadt,
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Viele Grüße
Sven
Gratuliere. Trifft die Thematik auf den Punkt. Und es wird leider noch schlimmer werden. Reden wir in zwei Wochen nochmal drüber…
WORD!
@heute & morgen
Es geht doch überhaupt nicht darum, welcher Herkunft die Sportler sind, die dort auf dem Platz stehen. Es geht um diesen penetraten Feigenblatt-Patriotismus, das Schwenken von und Bemalen mit nationalen Symbolen, alles mit der Rechtfertigung, das fördere ein gutes, ja sogar integrierendes Nationalbewusstsein. Dass das ein Wolkenkuckucksheim ist, wurde nach der WM2006 empirisch mit Hilfe einer Umfrage belegt (vgl. Julia Becker/Ulrich Wagner/Oliver Christ: „Nationalismus und Patriotismus als Ursache von Fremdenfeindlichkeit“, nachzulesen in „Deutsche Zustände“, Wilhelm Heitmeyer, Folge 5, suhrkamp Verlag 2007)
@taxamuxie:
ebend diese falle meine ich oben: genau diesen feigenblatt-patriotismus, dem sich die anhänger, die unbedarften und die kritiker hingeben. das alles hat mit einer fifa fussball-weltmeisterschaft nichts zu tun und gehört radikal dekonstruiert und nicht nur einfach beschähmt oder verhärmt kritisiert.
h&m
ps: der ball gehört uns allen.
Danke Spanien! Nicht weil Ihr gewonnen habt, sondern weil es ein klarer Sieg auf ganzer Linie war. Jetzt kann endlich wieder sachbezogen über Fußball debatiert werden. Ab heute kann ich dieses Spiel wieder lieben. Prost!