Schon wenige Sekunden nach dem dritten Wahlgang ist klar: Ach Du Scheisse, dieser Christian Wulff ist ja ein schlimmerer Langweiler als vermutet, eine rhetorische Schlaftablette vor dem Herrn und ein Garant dafür, dass noch weniger Menschen als bisher irgendwelche Weihnachts- oder Naujahrsansprachen hören werden.
„Eines der wesentlichen Wesenselemente von Demokratie ist, dass man auswählen kann, dass man gewinnen kann und dass man verlieren kann“ brachte Wulff Minuten nach seiner Wahl auch gleich den ersten Allgemeinplatz als Bundespräsident. „Politsprechplastikmüll“ sei das, twittert Reinhard Bütikofer. Und hat irgendwie Recht damit.
Schloss Bellevue wird jetzt also zur Wulffschanze. Und die wird (weiterhin) ein Hort der Langeweile, bewohnt von einem Parteisoldaten, der nach Sparkassendirektor aussieht. Ein Mensch, der seine Frau mit Tattoo vorschickt, damit ein Hauch von Kantigkeit zum Vorschein kommt. Dazu ein Katholik, der sich bei Evangelikalen engagiert. Gott schütze unser Land – Rette sich, wer kann.
Überschattet war die 9-stündige Geiselnahme der Bundesversammlung von reger Aktivität auf Twitter, bei der es der Titanic gelingt eine falsche Wahlfrau Martina Gedeck zu platzieren.
Auch sehr beliebt bei einer Rate von 4000 Tweets per Hour: Schuldzuweisungen an die Linkspartei. Die soll jetzt Wulff gewählt haben, schuld an allem sein, wird als SED beschimpft, unwählbar genannt und überhaupt in die undemokratische Ecke gestellt. Wer sich die Mehrheitsverhältnisse vor Augen führt, merkt, dass auch die Linkspartei mit ihren Stimmen im dritten Wahlgang nichts ausrichten hätte können. Natürlich wäre es wunderschön gewesen, wenn Merkel über Gauck gestolpert wäre, weil „Abweichler“ und die Linkspartei für ihn gestimmt hätten. Doch das ist alles hypothetisch – und deswegen die 140 Zeichen nicht wert.
Der „Bürgerkandidat“ Joachim Gauck war eben ein taktisches Meisterstück von Grünen und SPD. Er konnte CDU und FDP ein paar Stimmen in der Bundesversammlung abjagen und so die absolute Mehrheit von Wulff in den ersten beiden Wahlgängen verhindern. Neben diesem Schlag gegen Schwarz-Gelb, konnte Rot-Grün mit Gauck der Linkspartei gleich doppelt einen reinwürgen:
Einerseits kann jetzt die gute alte Stasi-SED-Karte weiter gespielt werden und außerdem war schon von Anfang an klar, dass „Die Linke“ einen derart neoliberalen und zudem den Afghanistankrieg befürwortenden Kandidaten niemals wählen hätte können. So kam die perfekte Choreografie zustande: die Kanzlerin weiter beschädigt, die Linkspartei als ewiggestrige Spielverderber dargestellt. Chapeau für diesen Schachzug.
Am Ende bleiben von der Politik enttäuschte Menschen, die sich in einer Sache engagiert haben, die sie qua Verfassung nicht beinflussen können. Deswegen: hier klicken!