Auch nachdem die französische Regierung ein altes Notstandsgesetz ausgepackt, Ausgangssperren verhängt, mutmaßliche Randalierer per Schnellgericht verurteilen läßt und sogar Blogger verfolgt: die Krawalle gehen weiter. Eine Menge Artikel zum Thema Paris Riots gibts auf dem Glückauf-Blog.
Repression alleine wird vor allem Innenminister Sarkozy, den ein Freund von mir aus Paris „einen gefährlichen Mann“ nennt, helfen. Sarkozy, der mit seinen Kärcher- und Gesindelsprüchen die Krawalle angeheizt hatte, versucht sich als Hardliner für den Präsidentschaftswahlkampf aufzustellen – und hat damit bei vielen Franzosen Erfolg. Zum Thema soziale Gewaltproteste und Möglichkeiten zur Lösung: ein aufschlussreiches Interview mit Frankreich Experte Alfred Grosser.
Bei aller Ernsthaftigkeit des Themas scheinen manche Leute zum Glück noch nicht den Humor verloren zu haben. Ähnlich amüsant die Wahlwerbung der konservativen französischen UMP. Wer bei google „Unruhe und Banlieue“ (auf französisch) eingibt bekommt diese Werbeeinblendung.
Interessante Anmerkungen zum Thema „Medien und Randale“ macht Lautgeben.de in einem Artikel. Da geht es darum, dass die französischen Medien (teilweise auf weisung der Regierung) die Berichterstattung über das Thema zurückfahren, weil das die Lage beruhigen soll. Natürlich sind die Krawallos daran interessiert, dass die Medien berichten. Anders haben sie keine Chance auf die sozialen Probleme hinzuweisen. Andererseits ist der Bogen wohl auch überspannt, wenn Rentner zu Tode geprügelt, Busse mit behinderten Menschen angezündet werden, usw.
Den Mediensaft abdrehen ist natürlich ein effektives Mittel. Doch könnte es die Leute nicht dazu bringen so harte Randale zu machen, dass die Medien nicht anders können? Ich glaube, dass solche Maßnahmen nur zu einer Verschärfung führen.
Ein Beitrag, der wohl auch ein Essai ist.
Frankreich hat massiv Wohnungen gebraucht, und in Folge in der ganzen Nation ‚Cités‘ geschaffen, die eine Form der Ghettoisierung darstellen. Ich greife den Kommentar der ‚Franzosen dritter und vierter Klasse‘ auf. Franzosen, die oft Einwanderungskinder, keinen Zugang zur Gesellschaft finden- Wohlstand, Kultur und Bildung oder einfach nur einen Arbeitsplatz, der nicht auf zwei Wochen limitiert ist. Sie sprechen anders, und benehmen sich anders, und schon der Name
auf dem Lebenslauf, wie die Hautfarbe führt zur Absage in vielen
Bewerbungen. Angesichts der Politiker, die sich nicht diplomatisch äussern können, und nicht eingestehen wollen, dass sie die Ursprünge der Probleme ‚gebaut‘ haben kann ich den Hass nachvollziehen. Dass daraufhin wirklich gefährliche Elemente, wie islamistische Eiferer von der Situation profitieren wollen, um Nachwuchs anzuwerben liegt auf der Hand. Die französische Regierung hat nicht versagt, aber Sarkozy ist ein gefährlicher Mann. Die Lösung all diese Menschen zu Kriminellen abzustempeln (was die Brandstifter Defacto sind), und vielen Franzosen 1. und 2.ter Klasse so aus der Seele zu sprechen lenkt von der Schuld der Regierung, und der fehlgeschlagenen Integrationspolitik ab. In Frankreich findet trotz vieler Bemühungen leider oft eine Politik der Exklusion statt. Allein schon eine Berufsausbildung stellt für die jungen Menschen der Cités eine unüberwindbare Hürde dar*. Hand in Hand geht das Selbstwertgefühl, die Art zu gehen und sich zu geben, die einen weniger formellen aber nichtsdestoweniger determinierenden Faktor bilden, bezüglich der Möglichkeiten des Zugangs zur Gesellschaft. Hier coexistieren zwei Gesellschaften, und die Idee der Gleichheit (égalité) manifestiert sich leider nicht ausreichend in der Lebensqualität. Während die einen
nichts anderers wie Fast-Food Buden kennen, stellen die Wohlhabenden stolz die immensen Ausgaben Ihres Lebenswandel zur Schau. Der Neid ist die Folge, der Neid auf jene, die im schönen Frankreich wohnen dürfen … während die anderen sich täglich von der Polizei schikanieren lassen müssen. Einer der Attentäter in London, selbst Engländer, Kind von
Immigranten, fühlte sich von der englischen Gesellschaft
ausgeschlossen, und wählte letztendlich den Selbstmord. Nichts
anderes, wenn auch auf einer anderen Ebene wählen die jungen Franzosen hier, und in Frankreich hat schon einmal ein verarmtes Volk die Paläste und Schlösser angezündet. Worauf heute die Fundamente ihres Nationalstolzes beruhen. Heute ist die Situation anders und doch ähnlich. Der rechte Konsens ist weit verbreitet. Der Nationalstaat soll eingreifen, ‚Law und Order‘, die Idee, dass es an Autorität fehlt ist weit verbreitet (Und das französische System ist schon sehr
autöritär in sich). Das Leben ist sehr teuer in Frankreich, und die Schuldigen bekannt: All jene, die von den staatlichen Hilfen leben. Und wer ist das? Das Problem ist offensichtlich. Der individuelle Egoismus scheint vielen die beste Lösung zu sein (Paris).
Zusatz: *Dies ist nur bedingt richtig. Es gibt in den Cités auch viele Ausgebildete und Studierte, (Dank der staatlichen Ausbildungsmöglichkeiten). Problematisch ist es bei betrieblichen Ausbildungen, oder dann bei der Arbeitsplatzsuche nach dem Studium, da der zum Beispiel algerische Name dann zum Verhängnis wird.
Kleine Abhandlung der „amüsant“heit der Google-Einblendungen der UMP gibt´s hier: http://www.face2blog.de/?p=26