Der erste Tag des 3rd Arab Bloggers Meetings in Tunis neigt sich dem Ende zu. Man kann sich das hier so vorstellen, wie eine klassische Bloggerkonferenz. Fast alle haben ihren Rechner dabei, überall sind Smartphones zu sehen, an denen die Leute rumspielen und viele Teilnehmer kennen sich untereinander. So weit so gut.
Das Besondere an dieser Konferenz (Vorbericht) ist, dass sie in einem Land stattfindet, das vor zehn Monaten noch von einem Diktator regiert wurde – und jetzt wird hier offen und freizügig über Politik, Mitbestimmung, Bürgerrechte und Freiheit diskutiert. Und das nicht nur hier auf der Konferenz, sondern überall im ganzen Land. Undenkbar noch ein paar Monate zuvor.
Und diese Konferenz bringt erstmalig nach den Revolutionen in Tunisien und Ägypten wichtige Aktivisten und laute digitale arabische Stimmen (wieder) zusammen. Viele Netzwerke bestanden natürlich schon vor diesem Treffen, das in diesem Jahr zum dritten Mal stattfindet. Neu ist jedoch, dass seit den Revolutionen den Bloggerinnen und Bloggern eine wichtige politische Rolle zugeschrieben wird, was sich auch in der durchaus wuchtigen internationalen Medienpräsenz wiederspiegelt.
Einer der bewegendsten Momente war heute als die richtig gute Doku „Zero Silence“ in Anwesenheit vieler Protagonisten, unter ihnen zum Beispiel Wael Abbas, gezeigt wurde. Der Film war ursprünglich als Portrait arabischer Blogger/innen geplant. Dann kam die Revolution dazwischen und so wurde der Film eine Doku über die arabischen Revolutionen, der mit eindrucksvollen Bildern die Entwicklung von 2009 bis August 2011 zeigt.
ZERO SILENCE – Trailer from ZERO SILENCE on Vimeo.
Sehr spannend war auch der Vortrag des Vorsitzenden der tunesischen Internetagentur (ATI). Die ATI war bis vor der Revolution der Lieblingsfeindin der Blogger und aller, die für Informationsfreiheit einstanden, war die ATI doch zuständig für Zensur und Überwachung. Der neue Vorsitzende sagte dann auch freimütig, dass westliche Firmen sich geradezu aufdrängten in der Vergangenheit (und wohl bis heute), um die elaboriertesten Zensur- und Überwachungsmechanismen zu installieren und zu testen. Vieles, was in Tunesien erprobt wurde, wird Aktivisten und Dissidenten in anderen Ländern nun zum Verhängnis. Nach dem Vortrag wurde im Publikum die Forderung laut, dass die ATI doch alle Angebote und Verträge der westlichen Überwachungsfirmen offenlege solle.
Um Überwachung ging es auch beim Vortrag von Jacob Appelbaum und Arturo Filasto. Sie machten besonders auf die Gefahren der mobilen Kommunikation aufmerksam. Die Slides stehen schon online und geben auch praktische Hinweise zum Selbstschutz vor Überwachung.
Nach einem Vortrag über die spanische Empörtenbewegung, die Demonstrationstechniken des Arab Spring aufgriff, diskutieren jetzt gerade auf dem Podium sieben tunesische Blogger/innen über die Wahlkampagne zur verfassungsgebenden Versammlung (Mitschrift). Die Wahlen finden am 23. Oktober statt und es geht darum, die Erfolge der Revolution jetzt in der Transitionsphase auch in geltendes Recht festzuschreiben.
Danach gibt es noch ein Panel zu Wikileaks, den Revolutionen und den Einfluss von Informationsfreiheit auf diese u.a. mit Jillian C. York und Sami Ben Gharbia.
Bei all der Begeisterung und dem guten Programm hier gibt es dennoch einen Wermutstropfen: zwölf palästinensischen Bloggern verweigerte das tunesische Innenministerium ohne Angabe von Gründen Visa und Einreise. Die Palästinenser waren hier mit besonderer Spannung erwartet worden.
Ansonsten ist das hier wirklich perfekt organisiert. Bis zum 6. Oktober kann man dem dritten arabischen Bloggertreffen noch unter dem Hashtag #AB11 folgen. Ab morgen wandelt sich die Konferenz zu einem Barcamp, bei dem die Teilnehmer alles selbst in die Hand nehmen. Wie ich höre, ist auch das ein Novum.
Presseberichte:
AFP (English)
Futurezone.at (Deutsch, via AFP)
Webdo.com (Francais)
Primaonline.it (Italiano)
TMNews.it (Italiano)
Foto: Panel „The Revolution will be Twitterized?“ von carribeanfreefoto unter einer CC-BY-NC-SA Lizenz
Merci!