Es ist ja nicht so, dass wir nicht seit Jahren vor dem Überwachungsstaat gewarnt hätten. Wir haben demonstriert, geschimpft und gekämpft gegen Vorratsdatenspeicherung, gegen die rot-grünen Otto-Kataloge und gegen die Einführung einer Zensurinfrastruktur in Deutschland. Wir haben uns zusammengetan und jeden Schritt dieses Staates gegen sein Grundgesetz und gegen die Bürgerrechte mit Protest begleitet. Wir haben ein paar kleine Erfolge gefeiert und viel zu viele Niederlagen einstecken müssen. Wir haben diesem Staat immer weniger vertraut. Und wir haben ihm schon lange zugetraut, dass er seine Kompetenzen überschreitet.
Jetzt haben wir es schwarz auf weiß. Er ist aufgeflogen, der „Staatstrojaner“. Noch weiß niemand außer dem Chaos Computer Club genau, welches Bundesland, welche Behörde dieses Überwachungs-, Dursuchungs- und Manipulationsprogramm nutzte. Aber eines ist sicher: was jetzt vom CCC gefunden und untersucht wurde, geht über alle verfassungsmäßig zulässigen Kompetenzen hinaus.
Am 27. Februar 2008 fällte das Bundesverfassungsgericht ein historisches Urteil. Als Abschluss der Auseinandersetzung um den Bundestrojaner – im Amtsdeutsch „Online-Durchsuchung“ – verkündete das höchste deutsche Gericht ein neues Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Es setzte damit sehr hohe Hürden für Geheimdienste und Ermittlungsbehörden, wenn diese die Computer von Bürgern infiltrieren wollen, um an deren digitale Lebensspuren und Daten zu gelangen.
Wenn wir schon von Trojanern sprechen, dann möchte ich im historischen Vergleich bleiben: sie haben den Rubikon überschritten. Der Rubikon ist ein Fluss, der südlich von Ravenna in die Adria mündet. Wer diesen Fluss bewaffnet überschritt und mit seinen Truppen Richtung Rom zog, der erklärte damit quasi dem römischen Senat den Krieg.
Ähnlich ist die verfassungswidige Nutzung von Programmen durch Ermittlungsbehörden (also den Staat) als ein Angriff auf die Demokratie und die Verfassung zu sehen, wenn diese Programme geeignet sind:
– intime Daten auf Computern auszuspähen und zu manipulieren
– beliebige weitere Schadsoftware nachzuladen
– Mikrofon und Kamera des Computers zum Lauschangriff zu nutzen
– beliebig Screenshots an die Behörden zu senden
– die Tastatur des Computers zu überwachen
– Daten auf den befallenen Rechner einzuschleusen
Dies ist beim „Staatstrojaner“ der Fall. Der CCC schreibt folgerichtig:
Es ist also nicht einmal versucht worden, softwaretechnisch sicherzustellen, daß die Erfassung von Daten strikt auf die Telekommunikation beschränkt bleibt, sondern – im Gegenteil – die heimliche Erweiterung der Funktionalitäten der Computerwanze wurde von vorneherein vorgesehen.
Hinzu kommt, dass der „Staatstrojaner“ so miserabel programmiert ist, dass im Auftrag des Staates befallene Rechner, offen wie Scheunentore stehen.
Das hinterlässt bei mir nicht nur ein diffuses Gefühl der Angst und Ohnmacht und die Sorge, dass die Menschen immer weniger in den Rechtsstaat vertrauen: es ist ein weiterer Beweis, dass deutsche Ermittlungsbehörden – ob nun in Bayern oder im Bund – sich nach freiem Entscheiden gegen geltendes Recht stellen, wenn es ihnen denn beliebt.
Es ist ja nicht so, dass das ein absolutes Novum wäre, doch haben die letzten zehn Jahre mit ihrer permanenten Panikmache und dem ständigen Überbieten immer krasserer Sicherheitsgesetze – und das durch rot, grün, gelb und schwarz – eine Kultur der Angst geschaffen, in der sich der Staat leichter als je zuvor über geltendes Recht und das Grundgesetz hinwegsetzen kann.
Deshalb ist es höchste Zeit, alle Gesetze, die unseren Grund- und Freiheitsrechten widersprechen, Online-Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung sind nur zwei davon, endgültig zu begraben und die mit Trojanern, Wanzen, privaten Daten und Kameras bewaffneten Truppen der Innenministerien wieder über den Rubikon zurückzutreiben.
Verdammt nochmal!