Istanbul, Gezi Park. Der Gouverneur hält eine fulminante Rede über die Neueröffnung des Parks. Es ist ein Uhr nachmittags. Die Stadt hat vor, ein „Friedens-Essen“ zu veranstalten, jede Nacht. Bis Ramadan vorbei ist. Dort sollen dann Atheist:innen und fastende Muslim:innen zusammen das nächtliche Essen genießen. Doch nur vier Stunden später, um fünf Uhr, wird der Park wieder abgesperrt. Alle Parkbesucher geräumt. Die Schlacht kann wieder beginnen. Die Polizei ist reisserischer als dieser Text.
„Es ist ein Witz“, sagt Aslı vom Sozialistischen Feministischen Kollektiv Istanbul. „Erst sagen sie, der Park wird Freitag eröffnet. Als das Solidaritätsbündnis Gezipark [Anmerkung der Redaktion: ein moderates Bündnis, das mit Architekt:innen und Stadtplaner:innen anfing und jetzt etwa 148 Gruppen vereint] dann ein Treffen für Samstag einberief, hieß es, der Park werde erst Sonntag eröffnet. Nach der Straßenschlacht vom Samstag wollten wir uns dann heute nach der Eröffnung treffen. Jetzt werden wir geräumt und sollen morgen wiederkommen.“
Hört Euch auch die Audio-Interviews vom 8. Juli 2013 mit Aktivisten vor und während der Räumung an.
Die Parkbesucher:innen klatschen und johlen, während sie aus dem Park eskortiert werden. „Das ist völlig illegal. Wir machen nicht mal eine Demonstration, doch selbst die sollte doch ok sein.“, sagt eine Aktivistin während ein Polizist, sie wegschubst.
Am Samstag, den 6. Juli, ging es wieder hoch her. Doch es scheint auf keiner Seite ausgeklügelte Strategien zu geben. Weder bei der Polizei noch bei den Aktivist:innen.
Die grobe Polizeistrategie scheint zu sein: Jede Demonstration gleich im Keim ersticken. Sobald sich eine Gruppe bildet, geht der Wasserwerfer drauf oder Gaspatronen werden geschossen. Einzelne kleine gepanzerte Fahrzeuge patroullieren und schießen mit Plastik-Patronen. Zivilpolizistinnen posieren mit ihren Kanonen an der Straßenecke.
Während Truppen durch die Istiklal, die Haupt-Shopping-Straße am Taksim Platz laufen, alle mit Gasmaske, wird von einzelnen immer wieder wahllos in die Gassen geschossen. Lebensbedrohlich: sie schießen horizontal auf Kopfhöhe mit Metall-Gaspatronen auf die Demonstrant:innen. Die Patronen stammen aus Brasilien und den USA und werden angeblich von einer Firma importiert, an dem Ahmet Cagri Çiçek, der Sohn eines Mitglieds der Regierungspartei beteiligt ist.
Die Aktivist:innen haben anscheinend aber auch keine richtige Strategie. Es geht im Grunde einfach um Widerstand. Opas malen Atatürk an die Wand, immer wieder stellen sich einzelne Männer in Machoposen vor Polizeigruppen und beschimpfen sie. Überall sind Cafés, in denen sich Aktivist:innen entspannen oder von oben auf die Shopping-Straße schauen können. Doch keiner weiß genau, was er machen soll.
Man hört immer wieder „sobald sich eine Meute zusammenfindet geh ich auch hin“, „wenn es mal eine organisiertere Barrikade gibt, werden wir hin um sie zu unterstützen.“ Doch heute sind weniger Leute auf den Straßen als vergangenen Samstag, die Stimmung ist müder geworden. Oder vielleicht nur verteilter: im benachbarten Viertel Besistas, sammeln sich momentan etwa 5000 Menschen auf der Straße…
Der Park bleibt auf jeden Fall erst mal zu. Die Augen gereizt. Und die Wut bebt weiter.
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Unser Autor Paul Ribbeck ist seit Anfang Juli in Istanbul und berichtet sporadisch von den Ereignissen vor Ort.
Aktualisierung: der Park ist wieder offen. Doch in den Straßen um den Park wird viel gekämpft. Katz und Maus, doch mit schweren Verletzungen auf Seiten der Aktivist:innen.