Als eine unbekannte Person am vergangenen Donnerstag ein paar Gehwegplatten am Berliner Oranienplatz aufstemmte und ein provisorisches Grab mit der Aufschrift „Borders Kill“ errichtete, konnte sie noch nicht absehen, wie sich diese Protestform in den nächsten Tagen weiterentwickeln würde. Einen Tag später folgte ein weiteres Grab in Berlin, dann eines in Mannheim. Die Idee, inspiriert von den Aktionen des Zentrums für politische Schönheit, verbreitete sich. Sie gewann an Fahrt, verselbständigte sich. Brachte Menschen an vielen Orten dazu, in den öffentlichen Raum einzugreifen, Ordnungswidrigkeiten zu begehen, um auf das Sterben im Mittelmeer hinzuweisen.
Irgendwer setzte unter unknownrefugees.tumblr.com ein Blog auf, das alle Gräber, ob nun in Parks, auf Verkehrsinseln, vor Parlamenten, auf Gehwegen, in Gärten, vor Schlössern, in Straßenbahnen, auf Wiesen, Plätzen, Baustellen sammelt und auflistet. Am Abend des 20. Juni gibt es nun mehr als 40 dieser provisorischen Gedenkstätten in dutzenden Städten in Österreich, Schweden, Belgien, Deutschland, der Niederlande und der Schweiz. Es kommen beständig neue dazu. In Leipzig demonstrierten gar spontan 100 Menschen und errichteten Gedenkgräber.
Manche der Gräber sind ganz einfach, andere reich verziert. Die meisten haben ein Kreuz und Grablichter, das hierzulande geläufigste Erkennungszeichen für ein Grab. Andere sind nur eine Blume, die in das Loch eines herausgerissenen Pflastersteins gesetzt wurde. Manche nutzen Stadtmöbel oder Stromkästen. Auf den meisten steht, dass Grenzen töten. Auf manchen der Hashtag #dietotenkommen.
Dieses „Tomb-upy“, der zivile Ungehorsam mit dem Ziel einen Gedenkort zu schaffen, mag eine kitschige Aktionsform sein. Aber sie bringt die Debatte um den vermeidbaren tausendfachen Tod von Flüchtenden in die Mitte europäischer Städte. Und das ist genau richtig.
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