Gibt
es eine befriedete Revolution?
Personenbündnis will den 1. Mai in Kreuzberg befrieden
und politisieren ohne Polizei
Das bekannte Bild am 1. Mai in Berlin-Kreuzberg ist
von brennenden Autos, Steinewerfern, tränengasge-schwängerter
Luft und brutalen Polizeieinsätzen geprägt.
Seit 1987 kommt es jedes Jahr zu schweren Ausschreitungen.
Jedes Jahr wurde auch die Anzahl der Polizisten erhöht,
im letzten Jahr waren über 8000 Sicherheitskräfte
im Einsatz. Trotz eines Verbots der legendären 1.
Mai Demo kam es zu schweren Auseinandersetzungen auf dem
Kreuzberger Mariannenplatz. Die Polizei hatte zuerst Menschen,
die demonstrieren wollten zu diesem Platz geschickt, um
ihn dann mit Wasserwerfern, Knüppeln und Tränengas
zu räumen. Hunderte von Demonstranten und Schaulustigen
wurden fest- oder in Gewahrsam genommen. Später wurde
den Veranstaltern des friedlichen Mariannenplatzfestes
vorgeworfen, Steinewerfern Schutz geboten zu haben. Absurd.
Dieses Jahr soll alles anders werden: der Berliner Politikprofessor
Peter Grottian gründete ein Personenbündnis mit
dem Namen "Denk Mai Neu. Für einen politischen
und polizeifreien 1. Mai in Berlin". Ziel ist es den
1. Mai zu repolitisieren und zwar ohne Polizeipräsenz
in Kreuzberg. Neben Vertretern linker Gruppen sind auch
Mitglieder von Gewerkschaften und Parteien Teil des Projektes
und eben die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB),
die traditionell die "Revolutionäre 1. Mai Demo"
veranstaltet. Plan des Bündnisses ist es durch eine
Vielzahl politischer und kultureller Veranstaltungen im
ganzen Kreuzberger Osten (SO 36) Gewalt unmöglich zu
machen. Unter dem Dach des Bündnisses haben unterschiedlichste
Radikalitäten Platz, die 1. Mai-Demo soll integraler
Bestandteil der Aktionen sein, so das Personenbündnis
auf einer Pressekonferenz in Kreuzberg.
Dennoch löste das Personenbündnis im linksradikal-autonomen
Lager sofort Diskussionen aus. Reformistisch, bürgerlich
und staatstragend sei das Projekt, und überhaupt, was
wisse ein Professor schon von Kreuzberg so zumindest
die Aussagen in linken Newslettern und Websites. Das Bündnis
wolle sich an die Spitze der Kreuzberger Alternativen setzen,
werfe den Kreuzbergern aber vor, unpolitisch zu sein. Die
AAB, die sich unter vorgehaltener Hand als Sprachrohr der
Autonomen versteht, kam in Rechtfertigungsdruck, warum sie
in einem Bündnis mit Vertretern von SPD, Grünen
und der PDS sei.
Jetzt hat die AAB reagiert: sie meldete am 26.02. die Demonstration
unter dem Motto "Kapitalismus abschaffen! Eine andere
Welt ist nicht möglich!" an und zwar mit
dem Ziel Auswärtiges Amt. Polizeivertreter wollten
sich bislang nicht zur Demonstrationsroute äußern,
man gehe allerdings davon aus, dass sie sich in Gesprächen
mit den Veranstaltern verändern werde. Prinzipiell
ist aber eine Demonstration am Auswärtigen Amt möglich.
Generell scheint die Wahl dieser Route logisch. Warum in
Kreuzberg demonstrieren, wenn die Regierung in Mitte sitzt?
Dazu eine Regierung, die sich vor allem durch Kriegsbegeisterung
hervorgetan hat. Dennoch widerspricht diese Demoroute dem
Konzept des Personenbündnisses, das nun wahrscheinlich
schwerer durchzusetzen sein wird.
Und auch für Berlins Innensenator Körting (SPD)
ist die Situation brenzlig: geht er nicht auf die Vorschläge
des Personenbündnisses ein, wird ihm wohl zu Recht
vorgeworfen, er habe die Chance nicht genutzt. Geht er auf
die Forderung ein, und es kommt zu Krawallen, blüht
ihm ebenfalls eine konfliktreiche Zeit. Spannend wird es
allemal.
Björn Grassow,
27.02.2002
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