"Wie
im Gefängnis" Kameraüberwachung
an der Uni
Die Humboldt-Universität in Berlin hält
einen traurigen Rekord. Sie ist die Uni mit der ausgefeiltesten
Überwachungstechnik in Deutschland. Zwölf Überwachungssysteme
mit jeweils zwei bis drei Kameras zeichnen rund um die
Uhr das Geschehen auf dem Campus auf. Etwa 150.000 DM
hat sich die Uni das kosten lassen. In einem Dutzend Computerräumen,
vier Hörsälen und einer Bildergalerie werden
Studenten zu Nebendarstellern in den Videos der Universität.
Auch alte Kameras aus der DDR sind in Betrieb die
Stasi lässt grüßen. Wenn man André
Kuhring, dem Datenschutzbeauftragten der Humboldt-Universität
glauben will, wird die Kameraüberwachung von den
Studenten positiv aufgenommen. Im Asta sieht man das anders,
ist erstaunt über die Aussage Kuhrings. Und auch
im Studentenparlament gibt es eine breite Mehrheit gegen
die Kameras; sogar der CDU-nahe RCDS hat sich gegen die
Überwachung ausgesprochen, so Parlamentsmitglied
Gunnar Zerowsky.
Doch nicht nur in Berlin will man potentiellen Kriminellen
mit Generalüberwachung zu Leibe rücken. "In
der Leipziger Universität fühlt man sich wie
im Gefängnis", so eine Studentin. Verständlich,
denn in Leipzig sind etwa 40 Kameras auf dem Campus installiert,
der dortige Datenschutzbeauftragte Thomas Braatz denkt
sogar über eine vierwöchige Speicherung der
Daten nach. Auch an Deutschlands größter Uni
in Köln hat man schon 85000 DM investiert. Wenn es
nach dem dortigen Direktor geht, sollen bald noch etwa
eine halbe Million DM dazukommen. Dass man mit diesem
Betrag die Schäden und Diebstähle ausgleichen
könnte scheint dem technikbegeisterten Direktor noch
nicht gekommen zu sein.
Der Trend zum Überwachen ist mittlerweile unübersehbar.
Was früher ausschließlich in Kaufhäusern
üblich war, hat sich langsam aber sicher auch in
öffentlichen Raum eingeschlichen, ohne dass sich
größerer Protest geregt hätte. Das Bewusstsein
für Privatsphäre und Bürgerrechte hat stark
nachgelassen. Ein Grund ist die wachsende Angst vor Kriminalität.
Während die Zahl der Straftaten von 1993 (8337 pro
100.000 Einwohner) bis 2000 (7625 pro 100.000) gesunken
ist, hat sich die Angst Opfer einer Straftat zu werden
vervielfacht. Politiker und Medien nahmen das Thema dankbar
an, und verstärkten den Effekt. Wer heute Überwachungskameras
ablehnt, muss sich Fragen gefallen lassen wie etwa
jene, ob man etwas zu verbergen habe. Genau so hat es
sich im Rahmen des Kindesmissbrauch-Hysterie mit der Abgabe
des genetischen Fingerabdrucks verhalten. Die männliche
Bevölkerung ganzer Dörfer wurde aufgefordert
ihre DNA abzugeben, wer sich widersetzte wurde verdächtig.
Mittlerweile "kümmern" sich mehr als 100.000
Überwachungskameras um die Sicherheit der Deutschen.
Bei immer besseren technischen Möglichkeiten. Bald
wird wohl auch Deutschland, wie beim Superbowl in den
USA, jedes Gesicht durch einen Gesichtsscanner gejagt,
um unliebsame oder aktenkundige Bürger auszusortieren.
Doch die Kameras sind nur die Speerspitze einer allmählich
schwindenden Privatsphäre. Emsig sammeln Firmen wie
der Emaildienst GMX Daten ihrer Nutzer. Und wer in den
80ern noch gegen die Volkszählung aufgemuckt hatte,
füllt heute sorgfältig alle Fragebögen
aus. Da ist es nur noch eine Frage der Zeit bis GMX auch
die sexuellen Vorlieben seiner Nutzer erfasst. Währenddessen
sind die Schwellen zur staatlichen Telefon- und Wohnungsüberwachung
gesunken. Sogenannte IMSI-Catcher fahren umher, simulieren
Sendemasten für Handys, und zeichnen nicht nur Nummern
und Gespräche, sondern auch Standorte der Handybesitzer
auf das alles ohne gesetzliche Grundlage.
In den USA versucht die Theatergruppe "Surveillance
Camera Players" gegen Big Brother mobil zu machen.
Kurze Theaterstücke vor den Kameras sollen nicht
nur die Observierer verwirren, sondern auch auf eine Entscheidung
des obersten Gerichtshofes aus dem Jahr 1967 hinweisen,
in der es heißt, Kameraüberwachung sei ein
schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre. Mittlerweile
haben auch Aktivisten in Litauen und Italien mit diesen
friedlich-kreativen Widerstand auf die wachsende Überwachung
hingewiesen. Vielleicht findet das nächste Stück
ja in Berlin statt?
Markus
Reuter
22.08.01
|
|
|