Nach
den Militärs kam der Hunger
Die Kehrseite des Drogenkrieges in Bolivien
Mario Agreda steht vor seinem Feld. Früher wuchsen
hier einmal kräftige Kokapflanzen, die er zu einem
guten Preis verkaufen konnte. Das hat sich seit letztem
Jahr geändert. Da kamen bolivianische Militärs,
finanziell unterstützt von den USA, und haben seine
Felder gerodet. Und nicht nur die Kokapflanzen, sondern
auch Bananen und Yucca. Seitdem ist Agreda arm, musste
Mais anpflanzen, der den Boden auslaugt. Agreda kam 1985,
nachdem seine Zinnmine im Hochland geschlossen wurde in
die Provinz Chapare, um ein neues Leben anzufangen. Da
bot sich Koka an: drei bis vier Mal im Jahr konnte er
die Blätter ernten, und das ohne große Vorkenntnis.
Damals, so erzählt er, gab es keine Polizei, keine
Militärs, der Staat war einfach nicht da. Dieses
Vakuum wurde von der Gewerkschaft ausgefüllt, in
der sich die Kokabauern zusammenschlossen. Auch wenn Agreda
noch nie Kokain gesehen hat, produzierte er jahrelang
die Grundlage für eine der gefährlichsten Drogen
überhaupt. Jetzt soll Mario Agreda Ananas, Bananen,
Zitrusfrüchte und Palmherzen anbauen, doch die können
seine zehnköpfige Familie nicht ernähren. "Es
gibt einfach keinen Markt", sagt seine Frau Mirta.
Die Preise sind zu niedrig. 30 Pfennig für ein Duzent
Ananas, das reicht einfach nicht.
Kirche, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen
der Region sind sich einig in ihren Vorwürfen gegenüber
der Regierung Boliviens und der international forcierten
Anti-Drogen-Kampagne. Man könne nicht den Kokabauern
ihre Lebensgrundlage nehmen, ohne für Alternativen
zu sorgen. Seit 1998 sind etwa 90% aller Kokafelder im
Chapare vernichtet, und 35000 Familien unter die Armutsgrenze
gerutscht. Für die bolivianische Regierung ist der
"Plan Würde", wie die Konzeption genannt
wird, eine Erfolgsstory. Das wiedergewonnene Ansehen des
Landes wiege die Armut "einiger weniger" auf,
so Informationsminister Manfredo Kempff. Noch im vergangenen
Herbst hatten sich die Kokabauern gewehrt, mit Straßenblockaden
legten sie über Wochen ganz Bolivien lahm. Schnell
hatten sich andere Gewerkschaften angeschlossen, um auf
die sozialen Probleme aufmerksam zu machen. Damals starben
zwölf Demonstranten auf der Straße. Die Bevölkerung
der Provinz reagierte mit Lynchjustiz und tötete
fünf Soldaten und Polizisten.
In Bolivien gibt es aber nicht nur das "böse"
Koka aus dem Chapare, sondern auch das "gute"
aus der Provinz Yungas. Letzteres wird vor allem für
den traditionellen Gebrauch, also zum Kauen und für
Tee, benutzt. In den Yungas stehen 15000 Hektar der Pflanze
ganz legal auf den Feldern. Doch der "Botschaft"
ist das ein Dorn im Auge. Und wenn in Bolivien von der
Botschaft die Rede ist, sind die USA gemeint. Die wollten
die Anbaufläche eigentlich halbieren, jetzt hat man
sich auf die Vernichtung von 2000 Hektar verständigt.
Bis Ende April war man dort noch in der Phase der freiwilligen
Zerstörung, doch kaum ein Bauer folgte der Aufforderung
des Staates. Im Gegenteil: trotz Verbote und drakonischer
Strafen werden in den malerischen Steilhängen neue
Kokafelder angelegt. Zur Entrüstung der Bevölkerung
will die Regierung des Präsidenten Banzer auch noch
eine Militärbasis vor Ort anlegen, um dem Kampf gegen
die Kokapflanze Nachdruck zu verleihen. Jetzt formiert
sich auch in den Yungas der Widerstand. Gemeinsam mit
den Cocaleros aus dem Chapare und der großen Bauerngewerkschaft
CSUTCB, wollen die Yungeños der Regierung einen
heißen Mai bereiten, um ihre Lebensgrundlage zu
schützen und gegen die katastrophalen sozialen Verhältnisse
zu demonstrieren. Den Protesten könnten sich rasch
andere Gruppen anschließen, Unruhe herrscht auch
bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen, den Lehrern
und den kleinen Gewerbetreibenden. So könnten die
Proteste der Kokabauern, wie in den Jahren zuvor schnell
zum Flächenbrand werden.
Mario Agreda hingegen kann es sich nicht leisten zu protestieren,
er will tiefer im Urwald versteckt, ein neues Kokafeld
anlegen. Das könnte ihn für Jahre in eines der
überbelegten Gefängnisse bringen. Doch Mario
Agreda hat keine andere Chance.
Markus
Reuter, Peter Kupser
04.05.01