Erleuchtung
für Anfänger
Metronaut findet die "Kraft zum Leben" im
Selbstversuch
Zugegeben: In Sachen Weltanschauung war ich ja schon
immer eine Lusche. Orientierungslos stolperte ich durch
mein bisheriges Leben, keine tiefe religiöse Überzeugung
säumte meinen Weg eine ordentliche Portion westlichen
Durchschnittsatheismus, gepaart mit der Fixierung auf möglichst
umgehende Triebbefriedigung, das wars, was mein Leben
ausmachte.
Das soll nun anders werden: Man hat mir ein Buch geschickt,
"Kraft zum Leben" heißt es. Geld bezahlen
musste ich dafür keines, nicht mal Versandkosten. Denn
merke: Gottes Himmelreich kennt keine Portogebühren.
Mal sehen, was ich sonst noch so alles über Gott lernen
kann.
Gott offenbart sich in blauen Büchern. Denn "Kraft
zum Leben" ist ein blaues Buch. Integre Halbprominente
wie Bernhard Langer oder Cliff Richard ("internationaler
Sänger") haben für dieses blaue Buch Werbung
gemacht. Bis die Fernsehwerbung von ketzerischen Landesmedienanstalten
verboten wurde. Nicht aber das Buch. Denn blaue Bücher,
in denen sich Gott offenbart, können nicht so einfach
von ketzerischen Landesmedienanstalten verboten werden.
"Kraft zum Leben" erzählt mir die Geschichte,
wie die Raumfähre "Columbia" erstmals die
Erde umkreiste. Das war eine der größten Leistungen
der Menschheit. Aber: "Sie war einfach nur ein großer
Metallkasten" und als sie keine Kraft mehr hatte, fiel
sie vom Himmel. Und dann erzählt mir "Kraft zum
Leben" von beruflich erfolgreichen Menschen: "Diese
Menschen sind keine Metallkästen, die früher oder
später vom Himmel fallen". Was Kruzifix
noch mal hält sie denn dann oben?
"Gott." Aha. Gott hält also beruflich erfolgreiche
Menschen, die keine Metallkästen sind, oben, damit
sie nicht vom Himmel fallen. Und ich bin auch kein Metallkasten.
Aber Batterien enthalte ich ebenfalls nicht. Gott schon
das ist wie mit einem Spielzeugauto, das man sich
gekauft hat: Sieht hübsch aus, funktioniert aber nicht,
weil keine Batterien drin sind: "Sie wurden nach Gottes
Ebenbild erschaffen, aber wegen der Sünde funktionieren
Ihre Batterien nicht." Wie kann ich es aber nun einrichten,
dass Gott, der ein Spielzeugauto mit Batterien ist, mich,
der ich kein Metallkasten bin, aber wegen der Sünde
auch keine funktionierenden Batterien enthalte, nicht verstößt?
Vor lauter Verzweiflung möchte ich schon bei Duracell
anrufen, doch dem Herrn sei Dank "Kraft
zum Leben" lässt mich nicht im Stich: Viele Menschen
haben nämlich Angst vor Gott, sehen ihn als "riesigen
Polizisten, der mit seiner spirituellen Radarfalle hinter
den Wolken sitzt", nur um sie beim Sündigen zu
erwischen. Aber ich weiß: Das geht nicht, denn ohne
Batterien kann mich die spirituelle Radarfalle ja wohl kaum
erwischen. Das ist aber gar nicht so schlau von Gott.
Doch für alle Fälle gibt es dann noch den "Heiligen
Geist". Wir verwechseln ihn manchmal so erzählt
mir "Kraft zum Leben" mit unserem "Gewissen".
Aber eigentlich funktioniert der "Heilige Geist"
ganz anders: "Er ist wie die kleinen Düsen an
der Basis der riesigen Raketen, die einen Satelliten in
den Weltraum befördern." Kommt die Rakete vom
Kurs ab, wird eine dieser Düsen gezündet und
siehe da "Dies bringt das Raumschiff wieder
auf Kurs."
"Donnerwetter!" denke ich mir und sehe mich schon
auf dem direkten Weg in Richtung Himmel. Denn jetzt weiß
ich, wie das alles funktioniert: GOTT (Spielzeugauto mit
Batterien; spirituelle Radarfalle) möchte MICH (ohne
Batterien, kein Metallkasten) gerne ERRETEN (ewiges Leben).
Ich bin jedoch NICHT UNFEHLBAR (keine Batterien), daher
setzt er vollstes Vertrauen in das Wirken des HEILIGEN GEISTES
(nicht "Gewissen"; kleine Düse an der Basis
einer Rakete, also eines Metallkastens, der mich darstellt,
obwohl ich gar kein Metallkasten bin).
Oder ist da irgendjemand anderer Meinung?
Sebastian Stoll
18.02.02