Politik dieser Tage - was für Zyniker!

Ein Kommentar von Katharina Teutsch

Theater hin, Theater her! Ob authentisch oder nicht scheint seit neustem nicht mehr die Frage im brandenburgischen Abstimmungsskandal zu sein. Offenherzig gab Peter Müller, der saarländische Ministerpräsident (CDU), sich inzwischen als Freund der politischen Inszenierung und outete einen riesigen Emotionsbluff, der sich am schwarzen Freitag im Bundesrat abgespielt haben soll. Zur Erklärung zog Müller die durchaus negativ gemeinten Bemerkungen des Kommunikationstheoretikers Vilém Flusser heran. Es sei, wie man erfahren durfte, in manchen Fällen geboten, mit inszenatorischem Geschick die Aufmerksamkeit auf die vermeintliche "Wahrheit" der eigenen Position zu lenken. Müller wandte sich gar ontologischen Fragen zu. Nur das, was kommuniziert werde, zitierte er Flusser, habe eine Chance auf SEIN. Nach diesem Prinzip müssen auch die Politiker handeln, wollen sie ihr Anliegen adäquat vermarkten. Ist ja alles schön und gut und auch nicht wirklich neu am Firmament der Erkenntnis; erstaunlich allerdings der Schlussschwenk in der Erklärung Müllers, die wohl dem Zwecke der Rehabilitierung seiner (nun dreifach empörten) Parteifreunde dienen sollte. Echter, aber journalistisch nicht dokumentierter Empörung des Vortags nämlich sollte angeblich mittels inszenierter Darstellung am Stichtag Ausdruck verliehen werden. So sieht sie also aus die Wahrheit der Empörten! Doch welch fataler Kommunikationsfehler ist der CDU da in Wahrheit unterlaufen..... ? Auch wenn es ansteht zu fragen, ob ein derartiger Anfall von illuminatorischem Aufklärungswillen nötig gewesen wäre. Zwei Begriffe geraten ob solcher und verwandter Szenen ins Visier der Erörterung: "die institutionalisierte Blamage" und das "Wer-bestimmt-was-Spiel".

Nicht alles, was kommuniziert wird, muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, nutzt dem erklärten Ziel der Mobilisierung von Wählerstimmen. Auch der angebliche Nutzen der Wahrheitsfindung bleibt weit hinter dem Eigenleben der Mittel zurück. Das sich nun immer häufiger ereignende Denunziationsschauspiel, übertragen von einer hoch erfreuten Presse, erinnert vielmehr an die Struktur einer Low Budjet Soap mit Laiendarstellern als an ein intelligentes Drama. Das eigentliche Drama aber liegt jenseits der öffentlichen Schlammschlachten. Es ist das Stichwort des "Wer-bestimmt-was-Spiels", das hier wieder aufscheint; dort wo der eine dem anderen Sand in die Augen schmeißt.

Außer dem Wort der wirklich Großen scheint in der bundesrepublikanischen Politik fast gar nichts mehr zu zählen. Nicht die Entscheidungen auf Landesebene und nicht die eines zu respektierenden Koalitionspartners im Bundestag. Das ist sehr schade für eine Demokratie. Patriarch Kohl ist von verdrossenen CDU-Wählern gegangen worden, um einem Mann der "Mitte", nämlich dem amtierenden Bundeskanzler Schröder (SPD), Platz zu machen. Dieser vielbeschworene und vielgescholtene Medienkanzler, der auch mal locker ein Schillerzitat auf die Lippen bringt, gefährdet derzeit durch unangemessen autoritäres Gebaren die demokratische Grundgesinnung der Republik. Abstimmungspflichtige Regierungsentscheide werden im Zweifel mit der Brechstange entschieden. Entscheidende Instanzen der Verfassung werden dabei auf unerhörte Weise (und hier ist die Empörung endlich angebracht) auf Linie bebracht. Das war bei der Bundestagsabstimmung über den geplanten Afghanistaneinsatz so und Gleiches lässt sich vom aktuellen brandenburgischen Fall behaupten.

Landespolitiker stehen unter einem unangemessenen Druck, der klar von bundespolitischen Interessen gekennzeichnet ist. Von diesem Vorwurf sind SPD und CDU gleichsam betroffen. Viel zu sehr stehen Wahlkampfinteressen der politischen Diskussion eines politisch wie emotional nicht zu missbrauchenden Zuwanderungsgesetzes im Weg. Es ist skandalös wie leichtfertig die zwei großen Parteien nicht nur die Fundamente des Grundgesetzes (Rolle Wowereits fragwürdig) zumindest erschüttern, indem sie einen sowohl inszenatorisch (Brechmittel für einen jeden Theatergänger) als auch politisch nicht mehr ertragbaren Zusammenhang zwischen Wahlkampfinteressen und politischen Entscheidungen deutlich werden lassen. Ein historisches Gesetz wie das zur Zuwanderung, auf den letzten Drücker doch noch mittels eines vieles offenbarenden Skandals zum Wahlkampfthema zu machen, ist schon ein trauriger Versuch, so etwas wie Vertrauen herzustellen.

Mal ehrlich, wer hätte von Wowereit anderes erwartet als geschehen? Wer von einer aufgebrachten in kindischen Drohslang verfallenden Opposition, die gegen den bislang tatenlosen Rau aufbegehrt? Eigentlich, so ist die Kunde aus feuilletonistischem Munde, sind jetzt alle erst mal hoch zufrieden. Die Opposition hat ihr Thema für den Wahlkampf gefunden und schreit "Verfassungsbruch". Schröder freut sich wieder mal alle Schäflein artig auf seiner Seite zu wissen. Harmonie pur möchte man meinen.

Das zweite auffällige Kuriosum der jüngsten Debatte ist die Blamage, die letztlich hinten rauskam. Offenbar liegt sie ganz nah bei der erwähnten Hampelmannmentalität der Betroffenen. Gerütteltes Maß an Plumpheit, Dreistigkeit und offensichtlichem Realitätsverlust ob einer penetranten Medienpräsenz schreit uns da entgegen. Es wäre sicherlich zu kurz gegriffen, immer wieder die Medien für die Verbreitung von so viel Elend (!) verantwortlich zu machen. Planschende und plaudernde Minister mitsamt Gräfin, fröhlich vor sich hin anthropologisierende Fraktionsvorsitzende (neuerdings will Chefempörer Merz das Verbrecherische schlechthin in Wowereits Augen entdeckt haben) und viele andere ärgerliche Beispiele zeugen von einer unaufhaltsamen Verschmelzung von politischer und privater Inszenierung zu Lasten des Eigentlichen: der politischen Inhalte. Wer immer scharf an undemokratischen Methoden vorbeimanövriert, unsensibel mit sensiblen Themen operiert und diese zu abartigen Parolen verkommen lässt (man erinnere an Fragen der "Leitkultur" und des populistischen "Kinder-statt-Inder"-Humbugs oder an die jüngsten Absonderlichkeiten des Herrn Steffel), der sollte in Deutschland und auch woanders nicht regieren!

Da es aber offensichtlich kaum Alternativen gibt, wird wohl erst mal alles so bleiben, wie es ist – nämlich "gut so"!


Hauptdarsteller im Polittheater
Die Herren Stolpe und Schönbohm