Innocence - „Erste Liebe – Zweite Chance“

Australien beweist mal wieder seine Rolle als Herkunftsland besonderer Filme. In seinem neuesten Export INNOCENCE wird von Regisseur und Autor Paul Cox ein großes Tabu gebrochen, er präsentiert dem Zuschauer nämlich Liebe und Sex im Alter.

Der 70jährige Pensionär Andreas (Charles Tingwell) findet keine Ruhe mehr, nachdem er entdeckt hat, dass seine erste große Liebe Claire (Julia Blake) in der selben Stadt lebt wie er. Er setzt sich hin und schreibt ihr einen Brief, und nachdem sich die beiden 50 Jahre aus den Augen verloren hatten, sehen sie sich wieder. Es dauert nicht lange und die alte leidenschaftliche Liebe ihrer Jugend entflammt von neuem, als wäre die Zeit nie vergangen.

Die fünf Jahrzehnte Unterbrechung haben aber natürlich auch ihre Spuren in den Leben der Protagonisten hinterlassen, Andreas ist seit 30 Jahren Witwer und Claire ist schon lange mit John (Terry Norris) verheiratet, mit dem sie mittlerweile eine Ehe aus Gewohnheit führt, ein eher freundschaftliches Nebeneinanderherleben ohne körperliche Nähe.

Die zurückgekehrte Liebe läßt Claire und Andreas neu aufleben. Ohne lange zu zögern geben sie sich ihren schon fast vergessenen Gefühlen hin, wie damals als junge stürmische Verliebte, beide in dem Bewußtsein, dass die ihnen noch verbleibende Zeit begrenzt ist. Aber der eifersüchtige John möchte Claire nicht verlieren, sie sei außerdem viel zu alt um sich neu zu verlieben, und dann sind da ja noch die mittlerweile erwachsenen Kinder...

INNOCENCE ist die Geschichte einer Liebe, und auch wenn hier das Paar wesentlich älter ist als gewöhnlich in einem Liebesfilm, so ist dies doch kein Film über alte Leute, sondern vielmehr ein Film für jeden, der schon einmal verliebt war. Nicht das Alter, sondern die Kraft der Liebe steht im Mittelpunkt, die unabhängig ist von Raum und Zeit.

Bei diesem Überraschungserfolg aus Cannes handelt es sich in jeder Hinsicht um einen Anti-Hollywood-Film, der Tabuthemen wie Liebe und Lust im Alter liebevoll und ohne Kitsch und Pathos aufgreift, und es tut gut, dass hier erst gar nicht versucht wird, den vorherrschenden Jugend- und Schönheitskult der Traumfabrik zu befriedigen.

Für die Besetzung der sich Wiederfindenden waren in Hollywood Paul Newman und seine Frau Joanne Woodward im Gespräch, Paul Cox bevorzugte jedoch weniger glamouröse Hauptdarsteller, deren Gesichter außerhalb Australiens nur den wenigsten bekannt sein dürften, und dieser Entscheidung verdankt der Zuschauer nun einen intimen menschlichen Film und eben kein klassisches Hollywoodprodukt. Man merkt den Schauspielern an, dass sie ihre Rollen leben. Die Darsteller Julia Blake und Terry Norris blicken auch im wahren Leben auf eine über 30jährige Ehe zurück, und besonders die ausdrucksstarken Szenen der vom Alltagstrott eingeschläferten Liebe ihrer Figuren wirken noch lange nach.

Sicher ist, dass diese sensible Geschichte leider nicht die Zuschauerzahlen finden wird, die sie eigentlich verdient hätte, und das nur weil eben nicht Julia Roberts und Brad Pitt die Hauptdarsteller sind. Sicher ist aber auch, dass die, die sich an der Kinokasse für „Innocence“ entscheiden, ihn länger im Gedächtnis behalten werden als die meisten Blockbuster.

Peter Becker, 10.01.2002

 

INNOCENCE – „Erste Liebe – zweite Chance“
Australien 2000, 94 min.
Drehbuch und Regie: Paul Cox
Besetzung: Julia Blake, Charles Tingwell, Terry Norris
ARSENAL Filmverleih
Start: 17.01.2001









alle Abbildungen © Arsenal Filmverleih