Songs from the second floor

Roy Anderson (59), schwedischer Regiemeister und Produzent schräger Werbeclips, präsentiert nach vierjährigem Entstehungsvorspann ein Stück kafkaeskes Monstrositätenkino der Extraklasse. Ein Muss für jeden Liebhaber der nackten Inszenierung, eine Bricolage aus Groteskem und Absurdem. Schwarzer Humor als Taktgeber einer trostlosen Welt, in der ein jeder „doch nur tut, was er tun kann“, auch wenn dies nie genug ist. Songs from the second floor ist ein Film über den Irrwitz mit den Mitteln des Irrwitzes.

Ein dicker Mann mit Namen Kalle brennt sein Geschäft nieder. Vor einem Haufen Asche beweint er aber den Verlust des Sohnes, der über das Gedichteschreiben den Verstand verlor. Ein Zug sich selbst kasteiender Versicherungsangestellter durchquert die namenlose Stadt, der Pfarrer tröstet mit profanen Reden. Die Via Dolorosa ist von Autos verstopft. Das Chaos regiert. Jesus hat 2000sten und baumelt am Kreuz. Kalle versucht sich neu zu orientieren und steigt ins Geschäft mit den Jesusfiguren ein. Doch am Schluss landen auch diese in einem blasphemischen Akt der Verzweiflung auf der Müllhalde. Ein gekreuzigter Loser taugt offenbar weder als Erlöser noch als Geschäftsidee. Doch wer soll sie erlösen all die Verzweifelten. „Wann lässt Du Dich endlich scheiden?“, schluchzt die Arzthelferin in Richtung ihres Chefs. Ein hagerer Herr hat andere Sorgen. Er wurde in einer Zaubershow buchstäblich zur „zersägten Jungfrau“. Blut tropft herab.

Das Ausgeliefertsein aber auch die Verantwortung für das Leben, die im schlechten Gewissen, im Hass und der Vergebung Ausdruck findet, sind die großen Themenkomplexe dieses Films. Nicht eine isolierte Geschichte inszeniert Anderson, sondern die lose Aneinanderreihung von szenischen Tableaux. Charlie Chaplin benutzte als Erster diese Technik, die dem Dargestellten maximale Intensität verlieh. Jeweils eine einzige Einstellung aufgenommen im Weitwinkel des Objektivs ist Formgeberin des szenischen Raums. Dieser bewusste Verzicht auf jegliche Montage, die konstruiert, den Weg weist aber auch manipuliert, bringt Andersons Film in die Nähe des minimalistischen Theaters und der Cézanneschen Malerei. Es ist das burleske Ereignis innerhalb dieser Struktur, das Andersons außergewöhnlichen Film zum Klingen bringt. Gezeigt werden Menschen im Kontext dieser Welt, nicht isoliert von ihr. Feinfühlende Zartheit und Aufmerksamkeit fürs Detail aber auch brutale Nähe zur Conditio Humana sind die herausragenden Merkmale. Eingetaucht in entstellendes Grünlicht, führen die Menschen ein geisterhaftes Dasein. Weiß geschminkte Gesichter erinnern an die Trauer des Harlekin.

Gewidmet hat Anderson seinen Film dem peruanischen Dichter Cesar Vallejo, von dem auch der leitmotivisch verwendete Satz „geliebt sei, wer sich hinsetzt“ stammt. Vallejo wirft in seinen Gedichten einen verletzenden und verantwortungsvollen Blick zugleich auf das menschliche Tun. Genau in diesem Sinne ist auch die Ästhetik in Andersons Film zu verstehen. Komisch trivial, unglaublich und schonungslos!

Katharina Teutsch
April 2002


Songs from the second floor
Dänemark,Frankreich,Schweden 2000
Regie: Roy Andersson

D: Lars Nordh. Stefan Larsson. Lucio Vucina
98 Minuten