Drauf auf der Insel

Ist der Mann ernsthaft so drauf oder tut er nur so? Setzt man bei diesem Autor auch nur ein wenig autobiografisches Schreiben voraus, muss man sich ernsthaft Sorgen um ihn machen. Aber nein, wer so lebt, kann nicht so schreiben. Oder doch? Die Verbindung Kreativität und bewusstseinserweiternde Substanzen kann durch diverse Beispiele der älteren und neueren Literatur als durchaus praktikabel angesehen werden. Irvine Welsh jedenfalls, hierzulande wohl durch seinen Roman „Trainspotting“ und vielleicht mehr noch durch die Verfilmung von Danny Boyle bekannt, lässt seine Figuren mit Vorliebe durch die Gassen und Gossen Edinburghs wandeln, vollgepumpt mit Drogen und leergepumpt von Illusionen aller Art. Mit welcher Konsequenz auch in seiner bereits 1994 im Erzählband „The Acid House“ erschienenen Novelle „Der Durchblicker“ gesoffen, gekifft, gekokst, Ecstasy geschmissen und Valium gefressen wird, ist beeindruckend. „Der Durchblicker“ ist jetzt bei dtv als Buch erschienen.

Antiheld der Geschichte ist Brian, 16 Jahre alt, mieser Job, von der Mutter im Stich ge- und von der Freundin ver- lassen und von Vater und Bruder genervt. Und daher – wen wundert´s – irgendwie hochgradig drogenabhängig. Irgendwie? Auf jeden Fall! Auszumachen scheint ihm das allerdings wenig, wenn er es schon nicht im Griff hat, so kann er doch ganz gut damit leben. Denn er ist der Durchblicker, von Leuten, die ihn kennen, gerne Schlauscheißer genannt. Nichts hasst er mehr.

Welsh begleitet Brian durch den Alltag in Edinburgh und London. Dabei zeichnet er das Bild eines jungen Menschen, der keine Erfüllung finden kann, sich der Suche danach aber auch gekonnt entzieht. Dabei ist Brian durchweg sympathisch, ein netter Kerl, der irgendwie auf einer allgemein als falsch angesehenen Bahn läuft. Wie schon in „Trainspotting“ ist der Kampf gegen das angepasste Leben der Motor von Brians Existenz. Seine Motivation zieht er aus der Verachtung gegenüber dem Establishment. Anders als in „Trainspotting“ scheint der Lebensentwurf von Brian auf den ersten Blick aber ein durchaus normaler zu sein. Würde sein selbstzerstörerischer Trip nicht so souverän vonstatten gehen, glaubte man es hier mit nicht mehr als einer pubertierenden Selbstversuchs-Phase zu tun zu haben. Und vielleicht ist es denn auch nicht mehr als das. Als sein Vater am Ende der Geschichte eine neue Frau findet, holt die Realität Brian durch einen Zufall ein. Der letzte Moment des „Durchblickers“ ist schließlich auch der einzige, in dem Irvine Welsh Brian wirkliche Emotionen zugesteht. Vielleicht der Anfang einer neuen Phase in seinem Leben.

Zu solcher Tiefe gelangt der „Durchblicker“ bis dahin allerdings nie. Muss er aber auch nicht. Welsh erzählt in der Sprache seiner Protagonisten vom trostlosen Leben schottischer Kids aus der unteren Mittelschicht. Das tut er jedoch in höchst unterhaltsamer und überhaupt nicht moralisierender Weise. Der Zeigefinger bleibt unten. Die ungezwungene Sprache Welshs sorgt dabei für eine authentische Atmosphäre und amüsiert und fesselt den Leser. Wäre man gemein, müsste man den „Durchblicker“ wohl mit dem Begriff Popliteratur abstrafen. Aber mit der Einstellung Brians wäre das nicht zu vereinen. Dann schon eher Punkliteratur.

Daniel Kreuscher, 05.06.2001


Irvine Welsh
Der Durchblicker
Novelle, 148 Seiten
dtv 2001
15, 50 DM
www.dtv.de

 

Irvine Welsh
Geboren 1958, lebt in Amsterdam, London und Schottland. Sein Debütroman „Trainspotting“ wurde für den Booker Prize nominiert, als Theaterstück aufgeführt und von Danny Boyle verfilmt. Auf deutsch sind weiterhin erschienen: „Ecstasy“, „The Acid House“ und „Drecksau“.

 

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