Selbststudien

Der Werdegang eines Gewaltverbrechers der rechten Szene ist geradezu ernüchternd stereotyp. Die wenigsten dieser Menschen wissen nicht von häuslicher Gewalt oder Liebesentzug durch die Eltern zu berichten. Christiane Tramitz hat diese Tatsache aufs deutlichste selbst feststellen müssen, als sie zusammen mit einigen Kollegen im Auftrag des Innenministeriums eine verhaltenswissenschaftliche Studie über die Psychologie solcher Straftäter durchzuführen hatte.

In ihrem Buch „Unter Glatzen“ spricht sie zunächst über ihre ganz persönlichen bei diesen Befragungen gesammelten Erkenntnisse. Doch geht ihr Bericht weit darüber hinaus. So stellt sie im Verlauf der Studie recht bald an sich selbst Veränderungen fest: Ihre Interviewpartner schleichen sich mehr und mehr auch außerhalb der Arbeitszeit in ihre Gedanken; sie beginnt an sich selbst sadistische Tendenzen zu entdecken, dem emotionslosen Verhalten ‚ihrer‘ Skinheads nicht unähnlich, wie ihr scheint; sie beginnt sich sorgen um ihre Kinder zu machen. Schließlich haben auch die ‚schlechten‘ Umgang in der Schule und eine allein erziehende Mutter, die viel zu wenig Zeit für sie aufbringt. Dem Leser wird ein tiefer Einblick gewährt nicht nur ins Familienleben der Autorin sondern auch in ihre Träume und tiefen Ängste.

Man sollte über den reichlich reißerischen Titel hinwegsehen, der doch recht wenig über den Inhalt des Buches zu erzählen weiß. Christiane Tramitz gelingt hier eine Verhaltensstudie voller Feingefühl, doch nicht die eines Gewaltverbrechers sondern ihrer selbst, einer Verhaltensforscherin, die sich in dessen Welt hineinzuversetzen sucht.


Sebastian Hertweck, 02.07.2001


Christiane Tramitz: Unter Glatzen
317 Seiten - Droemer Knaur, München
Preis: 39.90 DM