liegen lernen - eine Lesung von Frank Goosen

Im Kulturkaufhaus in der Friedrichstraße in Berlin sitzen zwei ältere Damen in der ersten Stuhlreihe, direkt vor der aufgebauten Bühne. Die eine fragt die andere: „Wie heißt der Schriftsteller, der heute liest?“ Sie scheinen öfter hierher zu kommen. Dass sie sich den Namen des heutigen Autors nicht eingeprägt haben, ist ihnen nicht zu verübeln. „Liegen lernen“ ist der Debütroman von Frank Goosen.
Ein sympathischer, rundlicher Mann in seinen besten Jahren betritt den Raum und macht es sich auf dem für ihn bereitgestellten Stuhl bequem. Der Haarausfall fing mit 12 Jahren an. Als er das erste Mal an sich rumfummelte, erklärt er süffisant. Es wurde immer vor abstrusen Folgen gewarnt, wenn man am Penis rumfummelte. Aber auf so was war er nicht vorbereitet... Auf der vierten Seite des Buches steht ein kleines Gedicht von Robert Gernhardt, das vielleicht den seltsamen Titel erklären könnte: „Von einer Katze lernen heißt siegen lernen. Wobei siegen ›locker durchkommen‹ meint, also praktisch: Liegen lernen.“

Das Buch spielt größtenteils in den 80er Jahren und vermittelt somit die damalige Situation und Haltung der Menschen. Wahrscheinlich auch die des Autors. Die Motive des Buches sind autobiografisch. Die Geschichte selbst ist erfunden. Goosen zitiert dazu John Irving, der gesagt hat: „Jeder Autor muss gut lügen können.“ In wie fern er sich daran gehalten hat bleibt ungewiss. Er bestreitet jedenfalls jeglichen Zusammenhang der Geschichte mit seiner Familie.
Der Held des Buches heißt Helmut und ist 16 Jahre alt. Helmut bezeichnet sich selbst als „drogenabstinenten, heterosexuellen Nichtdemonstrierer“ und bemüht sich um so wenig Engagement wie möglich. Dazu ein Auszug aus dem Buch: „Die achtziger Jahre waren keine gute Zeit, um erwachsen zu werden, (...) Schlaghosen, Clogs, Abba, Ilja Richter - die siebziger Jahre hatten Charme, da kam noch was aus den Sechzigern rüber, vielleicht sogar die Ahnung der Idee, die Welt könne besser werden. Die Achtziger hatten so etwas nicht. Auf den Illustrierten waren entweder nackte Frauen oder Atompilze, manchmal beides, und man wusste oft nicht, was schlimmer war.“

Während der Lesung führt Frank Goosen regelmäßig kleine Anekdoten an. Enthusiastisch beschreibt er die Hausfrauen der damaligen Zeit. „Die Frauen steckten immer in geblümten Haushaltskitteln, wo die unglaublich dicken, weißen Arme herauswursteten.“ Mit viel Witz und Ironie beschreibt er das kleinbürgerliche Leben und die Unsicherheiten des Ich-Erzählers Helmut, der die Gegebenheiten mit einem distanzierten Sarkasmus beobachtet.
Frank Goosen ist Kabarettist. Als zweite Hälfte des Duos „Tresenlesen“ tritt er seit 1992 auf. Deshalb ist es für ihn selbstverständlich, die Lesung zu einem Event zu machen. Die Lesung findet auf der selben Bühne statt, auf der auch Helmut Kohl sein Buch vorgestellt hat. Diese Tatsache stimmt Goosen feierlich. Nicht weil er ihn verehrt. Nein, er bedauert eher, dass damals nur mit einem Kuchen nach ihm geworfen wurde.

Während der Lesung reagiert Frank Goosen spontan auf das auf ihn gerichtete Kameraobjektiv eines Fotografen. Er weiß immer genau, wann die Fotografen abdrücken. Diesmal zieht er rechtzeitig eine freundliche Fratze, bevor die Blende zugeht. Eine Verfilmung des Buches kann sich der Autor gut vorstellen. Zumindest von der finanziellen Seite her, sagt er und wartet erwartungsvoll auf Angebote von den Zuschauern.

Christian Wüstner

Frank Goosen
liegen lernen

Eichborn Verlag (2000),
Gebundene Ausgabe,
39,80 DM (20,34 EUR)




Frank Goosen bei seiner Lesung in Berlin (Fotos: metronaut/Wüstner)