Radio
für Studienabbrecher
Letzte Woche und kurz vor Ende des Semesters lud das
Career Service Network junge Ambitionierte zur Veranstaltung
"Geisteswissenschaftler beim Radio".
Vier ReferentInnen aus der Welt des Äther zeigten am
letzten Donnerstag im Haus der Wirtschaft Kontur. Biographische
Kontingenzen sowie handfeste Qualifikationen sollten den
Weg des Radioredakteurs beschreiben. Gepflegte Frozzeleien
zwischen Vertretern der öffentlich-rechtlichen und
der privaten Hand taten ein Übriges und klärten
im Schnelldurchlauf über Vor- und Nachteile der unterschiedlichen
Unternehmensstrukturen auf. Wer sich allerdings echte Karrieretips
erhofft hatte, ging enttäuscht nach Hause. Als einzige
statistisch erkennbare Konstante im Leben des Radiomachers
erschien der Studienabbruch. Dennoch - eine nette Runde,
Anekdötchen bis zum Abwinken, Robert Skuppin und Volker
Wieprecht von Radio EINS in gewohnter Manier bissig und
gemein und daher in Bestlaune sowie kritische Fragen zur
Praktikumssituation an die Redner sorgten für Kurzweil.
Stephan Hampe vom privaten Rias-Nachfolger 94,3 r.s.2 wandte
sich in emanzipatorischen Reden gegen das ach so gemeine
Klischee "Öffentliche = Intelligenzia und Private
= Prollheimer" und verlieh seinem marktwirtschaftlichen
Innovationsdenken Ausdruck. Nicht nur hielt der betont joviale
und unüberhörbar amerophile Programmdirektor sein
Unternehmen für das professionellste seiner Art. Auch
mit einem weiteren Superlativ darf sein Sender glänzen:
"Wir sind gnadenlose Ausbeuter", tönte der
Profi. Alle potentiellen Praktikanten durften nun lernen,
dass Praktika bei r.s.2 drei Monate dauern und grundsätzlich
unbezahlt sind. Erster Unmut machte sich breit. Ob er das
nicht unmoralisch fände, und wovon ein Praktikant als
unentlohnter Vollbeschäftigter denn leben solle, wollte
man wissen. Die Antwort erfolgte in der Art, wie Erwachsene
ihre fragenden Kinder mundtot machen, wenn ihnen beim Lavieren
die Argumente abhanden kommen - in Form eines klassischen
Totschlagarguments nämlich. Ihm persönlich sei
es schließlich auch nicht anders ergangen. Dennoch
habe er es nie auch nur eine einzige Sekunde lang bereut.
Auf die Frage der Bewerbungsstrategien und Stationen des
Praktikums gab Hampe die ebenso prometheische wie poppige
Weisung: "Du (betont im Stile eines Nähe suggerierenden
"You", Anm. d. Verf.) musst wissen, worauf Du
(You) Bock hast!!!!". Aha, dachte sich wohl so manch
einer, den "highly professionel explications"
des Managers lauschend.
Ein anderes, weniger reißerisches Bild der Radiobranche
zeichnete Tanja Siebert, das neue Sternchen privaten vom
Berliner Jazzsender Jazzradio 109,1. Siebert plauderte auf
erquickende Weise aus dem Nähkästchen. Amerikaaufenthalt,
Studium, Kellnern in Jazzkneipen, und schließlich
der Kontaktsprung erst auf den Praktikantensessel, dann
ans Mikro und weg von den Étuden. Ebenso schnell,
wie man auf Rudi Carrels Showbühne landet, kam Tanja
Siebert an ihr erstes eigenes Format, das sie z.Zt. an jedem
Wochentag von 10-14 Uhr moderiert. Sie sei aber im Gegensatz
zu den anwesenden Kollegen (Skuppi düpiert!) noch jung
und daher für jeden alternativen Weg auf weiter Journalistenflur
empfänglich, so die Moderatorin. Und am schönsten
war es, als sie dann nur für uns live und in bester
Ludermanier ins Mikro hauchte: "daaaas waaaar Miles
Davis....." In Sachen Praktikum wusste die Jazzerin
besseres zu verkünden als ihr Vorredner. Jedes Praktikum
wird ab dem ersten Monat mit 250 Euro/Mon. vergütet.
Dem konnte Hampe nur die irgendwie euphemistisch anmutende
Qualität der Ausbildungserfahrung in seinem Unternehmen
entgegensetzen. Wie war das noch? Das Symbolische reproduziert
den Mangel oder?! Wer weiß es schon...who knows!
Zu guter Letzt gab es dann Infotainment im Doppelformat.
Volker Wieprecht und Robert Skuppin, auch als ehemalige
Flachfunker von Radio FRITZ bekannt, gaben sich als Repräsentanten
des guten alten Öffentlich-Rechtlichen. Während
uns Glänzeglatze Volki sein abgebrochenes Lateinstudium
als wichtigste Grundlage für (sein) strukturiertes
und strukturierendes Denken verkaufen wollte, bekamen wir
von Kranzkopf Robi die Geschichte vom männlichen Aschenputtel
vorgesetzt. Schon während des Studiums jobbte letzterer
beim SFB nicht jedoch als freier Schreiberling wie
Kollege W., sondern als Putzmann (!). Sein politischer Aktivismus
beschränkte sich zunächst auf das Anbringen von
provozierenden Selbstklebern linker Provenienz in Klos und
kahlen Gängen der Rundfunkanstalt. Was draus geworden
ist, kann man jetzt jeden Freitag in der "schönen
Woche" auf RadioEINS erleben. Arbeiten die meisten
privaten Hörfunker mittlerweile mit Sprechertexten,
die im Studio abgelesen werden, wird bei den Öffis
noch richtig improvisiert. Doch auch der SFB, klärte
man uns auf, hat an der Verflachung seiner Hierarchien zu
knabbern. Digitale Werkzeuge ersetzen teilweise den professionellen
Cutter. Das meiste wird mittlerweile von den Redakteuren
selbst erledigt. Auch das durchschnittliche Alter der Mitarbeiter
am Sender verjüngte sich in den letzten Jahren drastisch.
Klassische Biographien, die ein abgeschlossenes Studium,
Auslands-, Praktikums- und Lebenserfahrung vorweisen, so
Wieprecht, sind heute obsolet geworden. Der Wiederspruch
zwischen der Forderung nach makellosen Biographien und dem
Trend zu extrem jungen Mitarbeitern, trifft den Studi tief
in seinem Selbstverständnis. Er muss wohl antinomisch
verstanden werden. Die Wahrheit liegt in Beidem. Letztlich
muss jeder seinen persönlichen Erfolgsweg beschreiten.
Manchmal ist, verrät Wieprecht, die Beziehungsebene
dabei entscheidender als die inhaltliche. Einziger Tipp
vom Establishment: nicht zu spät mit dem Beziehungsklöppeln
beginnen.
Wirklich neue Erkenntnisse über das Mediengeschäft
wurden also an diesem Abend nicht vermittelt. "Ein
guter Redakteur wird immer ein guter Redakteur bleiben,
da es ihm egal ist, was er recherchiert." ließ
Wieprecht verlauten. Ja ja, es ist eben, wie es ist. Ganz
nach Gertrude Stein "A rose is a rose is a rose is
a rose"!
Bei RadioEINS gibt es ab dem zweiten Monat übrigens
300 Euro für Praktikanten. Volontäre werden in
allen drei Sendern ausgebildet und r.s.2 bietet derzeit
zusätzlich ein Traineeprogramm als Pilotprojekt. Interessierte
schicken ihre Bewerbung mit Lebenslauf entweder an die Personalabteilung
des Senders oder direkt an die gewünschte Abteilung.
Mit ein bißchen Glück klappts vielleicht.
Der Veranstalter ist im Internet unter career-service-network.de
zu erreichen und bietet in nächster Zeit berufsvorbereitende
Seminare und Workshops für Geisteswissenschaftler an.
Dringend gesucht werden motivierte Mitarbeiter, die sich
an Organisation und Durchführung von Veranstaltungen
beteiligen!
Katharina Teutsch,
14.02.2002